Tod auf der Themse
Kerzenwachs vom Boden kratzen könntet. Ich sehe Euch wieder, wenn
ich zurückkomme.« Er zeigte auf Bonaventura, der am Fuße
einer Säule schlummerte. »Und wenn Ihr Euch einsam fühlt,
unterhaltet Euch mit dem Kater. Ein großer Plauderer ist er nicht,
aber er kann gut zuhören.«
Athelstan folgte Sir John
hinaus.
»Einen Moment noch, Sir
John. Ich bin gleich wieder da.«
Athelstan warf einen Blick in
den Stall. Da stand der alte Philomel, an die Wand gelehnt, und kaute
zufrieden auf einem Bündel Heu. Sanft tätschelte der Priester
dem Pferd das Maul. Philomel wieherte leise vor Behagen und raufte wieder
ein Büschel aus dem Heu, und Athelstan lief rasch ins Haus, um seinen
Mantel und die Ledertasche mit dem Schreibwerkzeug zu holen. Dann gingen
er und Sir John zielstrebig zum Kai hinunter. Es war schon nach Mittag.
Der Himmel war bedeckt, aber in den Straßen und Gassen herrschte ein
hektisches Treiben wie immer. Kinder tobten kreischend um die Verkaufsstände.
Bettler baten winselnd um Almosen. Höker mit ihren Bauchläden um
den Hals boten Bänder, Nadeln und Klammern feil. Athelstan sah
Cecily, die Kurtisane, die vor der Tür einer Schenke stand.
»Geh zur Kirche,
Cecily!« rief Athelstan. »Wir haben einen Gast!« Er warf
ihr eine Münze zu, die sie geschickt auffing. »Kauf ihm eine
von Mistress Merrylegs Pasteten!«
Sie kamen am ungewohnt leeren
Pranger vorbei. Der Strafvollzugsausschuß würde erst in einer
Woche wieder Zusammenkommen; dann aber würde der Pranger sich mit der Schurkenernte
einer ganzen Woche füllen. Bladdersniff, der Bezirksbüttel, saß
betrunken unten vor dem Pranger und schwatzte mit dem Rattenfänger
Ranulf; dieser streichelte seinen zahmen Dachs, der ihm jetzt überall
hin folgte. Athelstan hatte ihn sogar schon in der Kirche gesehen, wo das
Schnäuzchen des Tieres unter Ranulfs Mantel mit der schwarzgeteerten
Kapuze hervorgelugt hatte. Die beiden Männer riefen einen Gruß
herüber. Athelstan erwiderte ihn und wunderte sich darüber, daß
Sir John so seltsam still war - meistens hatte der Coroner, wenn sie durch
die Straßen gingen, zu allem und jedem eine Bemerkung zu machen.
Athelstan faßte Cranston beim Arm.
»Sir John, was ist
denn?«
Cranston nahm einen Schluck
aus seinem Weinschlauch und schmatzte. Er rümpfte die Nase über
den fauligen Fischgestank von den Netzen, die zum Trocknen auf dem Kai
ausgebreitet lagen.
»Ich weiß es
nicht, Bruder. Diese ganze Geschichte stinkt. Ospring und Roffel waren
zwei Mörder und Mistkerle und haben bekommen, was sie verdienen.«
Er rülpste geräuschvoll. »Aber daß die Wache von der
God’s Bright Light verschwindet, und daß Roffel so merkwürdig
erkrankt, und daß Sir Henry auf unerklärliche Weise erstochen
wird … das alles ergibt keinen Sinn.«
»Ist Euch an Ashby
nichts Merkwürdiges aufgefallen?« fragte Athelstan.
Cranston grinste boshaft und
berührte Athelstans Nasenspitze mit dem Zeigefinger. »Du bist
ein gerissener, scheinheiliger Pfaffe, Athelstan. Ich habe eine Menge von
dir gelernt. Wie geht noch die Redensart, die du manchmal gebrauchst?
›Vier Dinge sind wichtig: die Fragen, die man stellt, die
Antworten, die man bekommt…‹?«
»… und die
Fragen, die man nicht stellt, und die Antworten, die man nicht bekommt«,
vollendete Athelstan. »Kein einziges Mal hat Ashby versucht zu erklären,
wie Sir Henry zu Tode gekommen ist. Er hat seine Unschuld beteuert, aber
uns nichts weiter verraten. Er sagt nur, daß er ins Zimmer gekommen
ist, den Toten gesehen hat und die Hand am Dolch hatte, als Marston ihn störte.«
»Und was noch, mein
lieber Mönch?«
»Bruder, Sir John,
Bruder. Nun, die Lady Aveline muß, zumindest an besseren Tagen, eine
hübsche, reizvolle Frau sein.«
»Und?«
»Kein einziges Mal hat
unser junger Knappe sich nach ihr erkundigt.«
Cranston schniefte. »Meinst
du, da stimmt etwas nicht?«
»Allerdings.«
»Will Ashby jemanden
decken?«
»Vielleicht.«
»Aveline?«
»Aber warum sollte sie
ihren eigenen Vater ermorden?« Athelstan seufzte. »Wir werden
den richtigen Augenblick abwarten und der reizenden Lady ein paar passende
Fragen stellen müssen.«
Cranston packte Athelstan bei
der Schulter. »Die ganze Geschichte stinkt wie ein Misthaufen im
Hochsommer. Aber jetzt komm, sehen wir uns das verdammte Schiff an und die
Geheimnisse, die es birgt.«
Sie
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