Tod auf der Themse
stiegen die Kaitreppe
hinunter. Athelstan erblickte jemanden aus seiner Gemeinde, Moleskin,
einen alten, drahtigen Mann, der immer lächelte und behauptete, er fahre das schnellste
Ruderboot auf der Themse. Jetzt winkte er Athelston und Cranston zu sich
und führte sie die glitschigen Stufen hinunter. Wenig später
ruderte er mit straffen Armen und knackenden Gelenken auf die rauhe,
dunstige Themse hinaus, vorbei an Dowgate und nach Queen’s Hithe, wo
die Kriegsschiffe vor Anker lagen. Der Flußnebel war immer noch dick
und stickig und wehte gespenstisch über dem Wasser. Gelegentlich zog
Moleskin die Ruder ein, wenn andere Boote, Barken oder Kähne sich flußabwärts
pflügten. Ab und zu riß der Nebel auf, und sie erhaschten einen
Blick auf fettbäuchige, hanseatische Kauffahrer auf dem Weg zum
Steelyard. Cranston beugte sich vor und gab Moleskin Anweisungen. Der Mann
grinste, räusperte sich geräuschvoll und spuckte ins Wasser.
»Behaltet Ihr nur den
Fluß im Auge, Sir John.«
Cranston spähte über
die Schulter. Plötzlich wehte der Nebel beiseite. Eine große
Kogge ragte vor ihnen auf.
»Nach rechts! Nein, ich
meine, nach links!« brüllte Cranston.
Der Ruderer grinste und
steuerte sein Boot geschickt unter dem Heck des Schiffes hindurch;
Cranston sah den Namen Holy Trinity über sich. Dann gingen sie an
einem anderen Schiff längsseits; seine Planken waren schwarz geteert,
und der Mast ragte in den Nebel hinauf, während es sanft auf der
Themse dümpelte.
»Das ist es!«
schrie Cranston.
Moleskin steuerte sein
kleines Boot längsseits. Er rief Sir John zu, er solle sich
hinsetzen, bevor er sie alle in die Themse kippte. Dann stand er auf und
rief: »An Deck! An Deck!«
Athelstan spähte hinauf
und sah, daß ein Mann mit einer Laterne an die Reling kam.
»Wer ist da?«
»Sir John Cranston,
Coroner der Stadt London, und sein Schreiber, Bruder Athelstan. Sir Jacob
Crawley erwartet uns.«
»Wird auch Zeit,
verdammt!« rief die Stimme zurück.
Ein Netz wurde an der
Schiffswand herabgelassen, gefolgt von einer starken Strickleiter.
Moleskin steuerte das Boot näher heran. Sir John packte die Leiter
und schwang sich hinauf, behende wie ein Äffchen. Athelstan folgte
ihm vorsichtiger, unterstützt von dem spöttisch grinsenden
Moleskin.
»Seht Euch vor, Pater«,
riet der Bootsmann. »Schaut nicht hinunter, nehmt Euch Zeit.«
Athelstan tat, wie geheißen,
und schloß die Augen halb. Als Sir John sich über die Reling wälzte,
geriet die Leiter ins Schaukeln, und Athelstan klammerte sich fest, als
gelte es sein Leben. Dann kletterte er weiter, bis Cranstons starke Hände
ihn bei den Armen packten und ihn würdevoll wie einen Mehlsack an
Deck hievten. Athelstan nahm den Lederbeutel vom Hals und taumelte dann,
als das Schiff sich bewegte. Er wäre der Länge nach
hingeschlagen, wenn Cranston ihn nicht festgehalten hätte.
»Es braucht Zeit, bis
man seine Seemannsbeine bekommt«, sagte Cranston. »Aber du mußt
breitbeinig stehen, Bruder.«
Athelstan gehorchte und spähte
blinzelnd umher. Das Deck war vollgestellt mit Ledereimern, Taurollen, ein
paar Säcken, Eisenkugeln und zwei Kohlenbecken mit ausgebrannter
Holzkohlenasche. Athelstan sah undeutlich ein paar Gestalten, die sich im
Nebel bewegten. Er schaute nach links über das Deck zum Achterkastell
und dann nach rechts, wo das Vorderkastell aufragte. Ein Matrose, nackt
bis auf die Unterhose - der Mann, der sie vorhin begrüßt hatte
-, betrachtete Athelstan.
»Du mußt aber
frieren«, bemerkte Athelstan. »Ohne Hemd.«
»Aye, ich friere auch,
Pater. Aber Ihr kommt jetzt besser mit. Sir Jacob Crawley platzt bald vor
Wut.«
Er führte sie über
das Deck zum Achterkastell und klopfte dort an die Tür.
»Verpiß dich!«
brüllte jemand.
Der Seemann zuckte die
Achseln, grinste über die Schulter und öffnete die Tür. Er
duckte sich, als ein Humpen an seinem Kopf vorbeiflog.
»Sir Jacob? Sir John
ist da.«
Cranston grinste von einem
Ohr zum ändern und schob sich an dem Matrosen vorbei.
»Jacob Crawley, Ihr
schmutziger, alter Seebär!«
Athelstan folgte ihm wachsam.
Ein muffiger, süßlicher Geruch erfüllte die Kajüte.
Der Mann, der sich halb von seinem Stuhl am Tisch erhob, um Cranston zu
begrüßen, war weißhaarig, klein, geschmeidig und nußbraun.
Er trug einen dunkelblauen Mantel, der von einem
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