Tod auf der Themse
er
herübergehumpelt. Seine lange, ungelenke Gestalt balancierte
halsbrecherisch auf einer behelfsmäßigen Krücke.
»Was ist mit Euch, Sir
John? Bruder Athelstan? Warum schreibt Ihr hier?« rief Leif. »Sir
John, Lady Maude sagt, Ihr sollt nach Hause kommen. Sie hat zwei große
Pasteten und ein paar Kuchen gebacken. Die Kerlchen schlafen, und Lady
Maude will Euch sehen. Hattet Ihr einen angenehmen Tag, Sir John?«
»Verschwinde, du
nichtsnutziger Halunke!« schrie Cranston. »Verschwinde und laß
mich in Ruhe!«
Leif berührte seine
Stirnlocke und grinste.
»Man wird schrecklich
durstig, Sir John, wenn man Nachrichten überbringt. Jetzt muß
ich zurück und Lady Maude sagen, wo Ihr seid, was Ihr treibt und was
Ihr gerade gesagt habt.«
Cranston machte schmale Augen
und warf dem Bettler einen halben Penny zu.
»Was du nicht gesehen
hast, kannst du auch nicht erzählen, oder, Leif?«
»Das stimmt, Sir John.
Aber auch das Lügen macht durstig.«
Noch ein halber Penny flog
durch die Luft.
»Trink dein Ale!«
befahl Cranston. »Du fauler, verschlagener Hund. Hältst du dein
Maul, kannst du mit mir zu Abend essen. Tust du es nicht, wirst du selbst
gefressen.«
Leif grinste Athelstan an und
hüpfte krähend vor Entzücken davon. Sir John nahm einen
Schluck aus seinem Humpen, stellte ihn ab, klatschte in die Hände und
schaute seinen geduldigen Schreiber an.
»Also, du fauler
Pfaffe, was wissen wir?« Er hielt einen fetten Daumen hoch. »Item:
Am 27. September segelten William Roffel und sein Schiff God’s
Bright Light auf Kaperfahrt aus der Themse in den Kanal. Roffel war höchst
unbeliebt und skrupellos, aber ein guter Kapitän. Der junge Ashby,
der sich jetzt in deiner Kirche verborgen hält, fuhr mit ihm. Er gab
dem Kapitän einen versiegelten Umschlag von Sir Henry Ospring.«
Sir John sah zu, wie
Athelstans Feder über das Pergament glitt, und er bewunderte die
klare, präzise Schrift. Der Ordensbruder benutzte eine Geheimschrift,
die nur er selbst kannte, eine Mischung aus Abkürzungen und Zeichen,
für deren Entschlüsselung ein kundiger Schreiber Monate
gebraucht hätte.
»Item«, fuhr
Cranston fort. »Roffel kapert etliche Schiffe, darunter eines vor
der französischen Küste. Vielleicht war es das nämliche,
von dem die beiden Hübschen vorhin gesprochen haben, vielleicht auch
nicht. Item: War Roffel ein Verräter? Kaperte er dieses Schiff mit
Absicht? Wußte er, daß Engländer an Bord waren? Wurde er
dafür bezahlt, sie zu töten? Jedenfalls war er danach sehr fröhlich;
er hat tatsächlich gegrinst und gesungen. Item: Roffel wird krank.
Item: Das Schiff macht in Dover fest, und Ashby geht an Land. Was noch, Mönch?«
»Ordensbruder, Sir
John, Ordensbruder.«
»Ganz, wie du willst -
Ordensbruder!«
»Item«, sagte
Athelstan beim Schreiben. »Kapitän Roffels Krankheit
verschlimmert sich. Er bekommt heftige Leibschmerzen, die, wie wir
glauben, auf Arsen zurückzuführen sind. Aber wie und warum er
vergiftet wurde, bleibt ein Geheimnis.« Athelstan schwieg und
schaute Cranston an.
»Ja, ja, du hast recht«,
fuhr der Coroner fort. »Wir dachten zunächst, das Gift sei in
der Flasche gewesen, aber Roffel, der verschlagene Bastard, hat sie überall
mit hingenommen. Er füllte sie selbst, und er trank in der Schenke
davon, ohne daß eine unangenehme Wirkung eingetreten wäre.
Überdies hat seine Frau, wie wir gesehen haben, das gleiche getan.
Die Flasche scheint also nicht vergiftet worden zu sein.« Cranston
nahm einen Schluck Ale. »Item, mein guter Ordensbruder: Die God’s
Bright Light kehrt in den Hafen zurück. Roffels Leichnam wird an Land
geschafft, seine persönliche Habe ebenfalls, aber das ist nicht viel.
Ein Stundenbuch ist dabei, in dem Roffel wahrscheinlich seine
verbrecherischen Gewinne vermerkt hat. Die Stimmung auf dem Schiff ist
schlecht, aber die Mannschaft entspannt sich. Am Nachmittag kommen Huren
an Bord. Als der Abend dämmert, gehen sie wieder an Land, und der größte
Teil der Mannschaft mit ihnen. Nur der Erste Maat und zwei Matrosen
bleiben als Nachtwache zurück. Item: Das eigentliche Geheimnis
beginnt. Nach allem, was wir wissen, werden Parole und Lichtsignal vom
Schiff des Admirals, der Holy Trinity, zur Wache der God’s Bright
Light und von dort zum nächsten Schiff, der Samt Margaret,
weitergegeben - jene zur vollen Stunde,
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