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Tod auf der Themse

Tod auf der Themse

Titel: Tod auf der Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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Mistkarrren
     waren unterwegs; sie schabten den Kot aus den Kloaken und sammelten den
     Abfall des vergangenen Tages ein: Tote Katzen waren dabei, und ein Hund,
     dem ein Wagenrad das Rückgrat gebrochen hatte. Ein paar Benediktinermönche
     geleiteten einen Sarg zu einer Kirche. Ein Barde unterhielt die Frühaufsteher
     mit einer Geschichte von der Entrückung in eine sagenhafte Feenstadt
     unter einem Berg bei Dublin. Betrunkene, die ihre Strumpfbänder um
     den Hals trugen und denen die Hosen um die Knöchel schlotterten,
     wurden zum Wasserspeicher hinaufgeführt, wo sie den Vormittag
     schmachvoll in dem großen Käfig, der dort stand, verbringen
     sollten. Am Eingang zur Vintry steckten zwei Stangen im Boden; die Köpfe
     zweier hingerichteter französischen Piraten saßen darauf,
     unkenntlich unter all dem Dreck und Unrat, mit denen man sie beworfen
     hatte.      
    Cranston und Athelstan
     erreichten die Docks. Hier drängten sich die Kauffahrerschiffe; der
     Himmel war schwarz von einem Wald aus Masten, Spieren und Kränen. Sie
     sahen die Aleppo, die George, die Christopher und die Black Cock die Laderäume
     waren offen und nahmen bündelweise englische Wolle, Eisen, Salz,
     Fleisch und Tuche aus den Städten der Midlands auf. Athelstan spähte
     zwischen den Schiffen hindurch und sah die Kriegskoggen, die draußen
     vor Anker lagen. Cranston führte ihn zu der Schenke hinunter, wo sie
     den Menschenfischer beim letzten Mal getroffen hatten. Mit leiser Stimme
     trug er dem Schankwirt auf, den Mann zu holen; dann bestellte er zwei
     Humpen Ale, und sie setzten sich wieder in dieselbe Ecke und warteten. Der Menschenfiseher
     erschien bald. Sein schmaler Totenschädel glühte vor
     Befriedigung über den Gewinn, den es ihm gebracht hatte, die Leichen
     aus dem Fluß zu ziehen und auszuplündern. Seine Phantome drängten
     sich in der Tür und warteten. Der Menschenfischer lehnte den Trank
     ab, den Cranston ihm anbot; er klatschte in die Hände und verneigte
     sich spöttisch vor den beiden.
    »Mylord, Eure
     Heiligkeit - endlich beehrt Ihr uns mit Eurer Anwesenheit!«
    »Quatsch!«
     schnarrte Cranston. »Du verschwendest unsere Zeit.«
    »Würde ich die
     Zeit des mächtigen Cranston verschwenden? Nein - kommt mit mir,
     Mylord Coroner. Ich zeige Euch ein großes Geheimnis.«
    Cranston zuckte die Achseln.
     Er und Athelstan folgten der gespenstischen Gestalt und seiner
     buntgescheckten Horde hinaus und durch ein Gewirr nach Urin stinkender
     Gassen, bis sie vor einem großen, schäbigen Lagerhaus
     angekommen waren.
    »Oh Gott!«
     hauchte Cranston. »Bei den Titten einer Meerjungfrau, er will uns
     seine Ware zeigen!«
    Der Menschenfischer holte
     einen Schlüssel hervor, schloß die Tür auf und führte
     sie in den dunklen Speicher. Fischiger Brackwassergeruch, gemischt mit dem
     eklig süßen Gestank der Verwesung, ließ Athelstan gleich
     würgen. Die Phantome drängten sich um ihn.
    »Licht!« rief der
     Menschenfischer. »Es werde Licht, denn die Dunkelheit begreift das
     Licht nicht!«
    Athelstan streckte die Hand
     aus, um sich abzustützen, und griff in etwas Kaltes, Nasses,
     Schwammiges. Er schaute hin und schluckte einen Aufschrei herunter, als er
     sah, was es war: das graue, aufgedunsene Gesicht einer Leiche. Er rieb
     seine Hand an der Kutte und wartete, bis
     Fackeln und Kerzen angezündet worden waren.
    »Oh, um der Liebe des
     Herrn willen!« flüsterte Cranston. »Bruder, sieh dich nur
     um!«
    Der Speicher war wie eine große
     Scheune gebaut. In behelfsmäßigen Kisten, die der
     Menschenfischer überall zusammengestohlen haben mußte, lagen
     die Leichen, die er aus der Themse gefischt hatte - mindestens vierzig
     oder fünfzig an der Zahl. Athelstan sah eine schmalgesichtige junge
     Frau, einen Bogenschützen mit einer blutigen Wunde in der Brust, ein
     altes Weib, das auf einem nassen gelben Lumpen lag, und sogar einen
     kleinen Schoßhund, den jemand hatte fallenlassen.
    »Hier entlang! Kommt
     hier entlang!«
    Der Menschenfischer führte
     sie zum hinteren Ende der Scheune, wo eine Pfeilkiste aufrecht an der Wand
     lehnte. Eine Männerleiche lag darin. Athelstan hatte das Gefühl,
     er müsse sich übergeben, und wandte sich ab. Cranston aber nahm
     den Toten sorgfältig in Augenschein. Es war ein großer, kräftiger
     Mann mit schwarzem Haar; das schmale, augenlose Gesicht trug die Spuren
     von Fischbissen, und das Fleisch war aufgequollen und weiß wie alte
     Wolle, die

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