Tod im Beginenhaus
Rüstungsschmiede ihre Werkstätten hatten. Zum Rand der Vorstadt hin wurde die Bebauung ärmlicher, die Bevölkerung bäuerlich. Ziegen und Hühner kreuzten ihren Weg, ein Knabe scheuchte mit einer Gerte eine laut schnatternde Gänseschar an ihr vorbei.
Vor allem die Kinder waren es, die ihr offen nachgafften. Eine einzelne Frau, die ohne Begleitung oder Dienerschaft aus der Stadt spazierte, war ungewöhnlich. Und unvernünftig war sie auch.
Adelina schritt noch schneller aus und bemühte sich um eine wichtige Miene. Vielleicht würde das die Gaffer abhalten, sie auch noch anzusprechen.
Felder und Wiesen schlossen sich nahtlos an die vereinzelt liegenden Höfe an. Alles war schneebedeckt und strahlte fast grell unter dem bleigrauen Himmel. Nur Krähen und Elstern bildeten Grüppchen schwarzer Punkte, die aufstoben, wenn man ihnen zu nahe kam. Die Straße, auf der sie nun ging, war breit und ausgefahren,denn sie führte geradewegs bis nach Aachen. Es herrschte reger Verkehr: Reisende, Händler, Bauern mit ihren Karren voll Stroh oder Kisten mit Eiern oder Geflügel. Nur eine Art von Wanderern fehlte, die Pilger. Die machten sich erst bei wärmerem Wetter auf den weiten Weg zu den heiligen Stätten der Christenheit.
Ein Dorf galt es noch zu durchqueren. Dann musste sie sich links halten, dem Wald zu. Nun, da sie unterwegs war, kam ihr alles so vertraut vor, als sei sie nicht zuletzt vor fünf langen Jahren hier entlanggegangen. Damals jedoch mit Trauer im Herzen und einer lähmenden Angst im Bauch, die ihr jeden Schritt zur Qual gemacht hatte. Im Nachhinein fragte sie sich noch immer, wie sie es überhaupt geschafft hatte, ohne Hilfe und Zuspruch zu Ludmilla zu finden und die Schmerzen und das Leid allein durchzustehen. Niemand hatte etwas geahnt, und sie hatte ihr Geheimnis bis auf den heutigen Tag gehütet. So würde, so musste es auch weiterhin sein.
Aber heute war sie aus einem völlig anderen Grund auf dem Weg in die Waldhütte. Es ging nicht um sie selbst, sondern um die Menschen, die ihr etwas bedeuteten, um das Beginenhospital und die Kranken, die dort untergebracht waren. Kein Grund für Magenschmerzen und Herzklopfen. Sie musste einen klaren Kopf bewahren und ganz nüchtern mit der Alten reden. Vielleicht erinnerte sich Ludmilla ja nicht einmal mehr an sie. Wie viele Frauen oder Mädchen mochten mittlerweile bei ihr gewesen sein? Wahrscheinlich zu viele, um sich einzelne Gesichter zu merken.
Der Pfad, der von der Hauptstraße in den Wald abbog, war noch genauso schmal und unscheinbar wie damals. Doch der Schnee veränderte die Konturen und machte, dass alles viel unwirklicher aussah. Gleichwohlwaren deutlich die Fußspuren mehrerer Menschen auszumachen, die in den vergangenen Tagen hier entlanggegangen waren. Waldarbeiter vielleicht. Doch manche Spuren waren zu klein für einen Mann.
Während Adelina sich bemühte, in den vorhandenen Spuren zu bleiben, wurde ihr immer mulmiger zumute. Der Wald schien sich rings um sie zusammenzuschließen. Nur vereinzelt hörte man das Krächzen eines Raben, ansonsten war es still.
Plötzlich vernahm sie in einiger Entfernung hinter sich ein lautes Knacken wie von brechenden Ästen. Erschrocken blieb sie stehen und lauschte, sah dann aber, dass sie nur eine Gruppe Rehe aufgescheucht hatte. Erleichtert ging sie weiter, auch wenn das Gefühl, verfolgt zu werden, sie nicht ganz verlassen wollte. Mehrmals drehte sie sich ruckartig um, aber weit und breit war nichts zu sehen als verschneiter Wald und einmal ein Kaninchen, das ihre Spur kreuzte. Ich werde langsam verrückt, dachte sie verärgert und konzentrierte sich wieder auf den Weg. Weit konnte es nicht mehr sein, und das war auch gut so, denn trotz des raschen Schrittes, den sie einschlug, waren ihr Gesicht und Hände eiskalt geworden, und die Kälte kroch langsam über ihren gesamten Körper. Noch einmal wollte sie sich nicht erkälten.
Vor ihr mündete der Pfad in eine Lichtung, an deren hinterem Rand eine windschiefe kleine Holzhütte stand. Tür und Fensterläden waren verschlossen, doch der Rauch, der aus dem Abzug im Dach quoll, verriet, dass die Bewohnerin zu Hause war. Adelina straffte die Schultern und ging schnurstracks auf die Tür zu. Dabei fiel ihr Blick auf säuberlich gezogene Beete und Spaliere, die unter der Schneelast ihren Winterschlaf zuhalten schienen. Hier zog Ludmilla seit jeher die Heilkräuter, die sie für ihre Behandlungen benötigte, und natürlich das Gemüse, von dem sie sich
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