Tod im Frühling
Fensterladen .
Bacci verfolgte keinen einzigen Ton der ›Frühlingssonate‹. Die Geigerin war ein stäm m iges, d u nkelhäutiges Mädchen aus Süda m erika, und beide Mädchen hatten dem Progra m mheft zufolge im Jahr zuvor i hren Absch l uß am Konservatorium in Florenz ge m acht .
Die Musik u m str ö m te ihn, aber ohne seine Nerven zu beruhigen. Sie hätten un m öglich in der Wohnung bleiben können. Er konnte gerade so den oberen Teil des Kopfes seiner Mu t ter sehen, ganz vorne. Es gab keinen Grund, warum der Capita n o je m a ls dahinterkom m en sollte. Er fragte nicht danach, was sie taten oder worüber sie sich unterhielten, sondern überließ es Bacci, die I nfor m ationsschnipsel, die er ihr entlocken konnte, weiterzugeben. Manch m al war er in ihrer Anwesenheit so angespannt, daß er überhaupt nichts sagen konnte. Wenn er m it ihr hätte Italienisch reden können, wäre das anders gewesen. Aber sein korrektes Englisch nutzte i h m jetzt überhaupt nichts. Er hatte es von seiner Mutter gelernt, die eine englische Gouvernante gehabt hatte, und er benutzte die Sprache nur, wenn er sich m i t den Freunden seiner Mutter unterhielt oder wenn es bei seiner Polizeiarbeit erforderlich war. Wenn er m i t dem Mädchen redete, dann fand lediglich ein Austausch von Infor m ationen statt, aber keine Ko m munikation .
Ihr blondes Haar war so lang, daß es seine Hand berührte, wenn er neben ihr saß. Er schob das Program m heft näher zu ihr heran, so daß ihn ihr Haar auch j etzt berührte. Er betrachtete sie aus den Augenwinkeln. Sie war sehr blaß. Er konnte sich nicht erinnern, daß sie jemals so blaß gewesen war, seit sie das Krankenhaus verlassen ha t te. Ihr Blick ging unruhig hin und her, und es schien, als konzentriere sie sich n icht auf die Musik, aber sie saß sehr still da .
Nach einer Weile wurde geklatscht, und dann trat seine Schwester auf das niedrige Podiu m , das von einem Meer von rosa und weißen Azaleen u m geben war. Sie hatte sich das Haar hochgesteckt, um älter auszusehen als sechzehn, doch trotzdem wirkte sie so befangen, wie sie ihre Noten zurechtrückte und i h re Schultern gerade m achte, daß die Reife ihrer Stim m e i hn erschauern ließ – wie im m er, wenn sie sang. War Katrine auch überrasch t ? Sie runzelte ein wenig die Stirn, als v ersuche sie sich zu konzentrieren, und sie war sogar noch blasser als zuvor. » Alles in Ordnung ? « flüsterte er, indem er sich noch näher zu ihr hinüberlehnte .
» Ja … «
Sie nahm i h m das Program m heft aus der Hand, als wolle sie wissen, wie das Lied hieß, aber ihre Augen waren geschlossen, als sie sich darüberbeugte. Er zeigte a u f ›Pergolesi‹, und sie hob wieder den Kopf, um von einer Seite zur andern zu blicken .
Wenn ihr wirklich nicht danach gewesen wäre auszugehen, dann hätte sie das doch sicherlich gesag t ? Sie hatte ganz entspannt gewirkt, wie sie da in d er Sonne über den belebten Do m platz geschlendert waren, wo die Zuschauertribünen für die Osterfeierlichkeiten aufgebaut wurden. Er hatte ihr das m it d er künstlichen Taube erklärt, die während der Oster m esse v o m Hochaltar auffliegen und einen großen Karren m i t Feuerwerk entzünden würde. Er hatte versprochen, es m i t ihr zusam m en anzusehen. Wenn sie wirklich nicht hätte ausgehen wollen… Das Du mm e war, daß sie sich nie äußer t e, sie sah i m m er weg und m u r m elte u n deutlich: » E ntscheide du… «
Es war schwer zu sagen, ob sie alles verstand, wenn er ihr zu erklären versuchte, daß bei diesem Fall sie eine H auptzeugin und er ein Polizist sei, der seine Er m ittlungen durchzuführen ha t te, was sein Beruf für ihn bedeutete und daß er noch eine Mutter und eine Schwes t er m iternäh r en m ußte .
»Wir m üssen warten. «
» Das ist egal . «
Ihm war es nicht egal. Manch m al ertappte der Capitano ihn dabei, wie er ihn unverwandt anstarrte, als könnte er ihn Kraft seines Willens dazu bringen, den Fa l l endlich dem Untersuchungsrichter zu übergeben. Er würde n i cht m ehr lange durchhalten, wenn auch nur deswegen, weil er n i cht m ehr z u m Schlafen ka m . Früher o der später wäre er zu erschöpft, um n och klar denken zu können, dann würde er den Ka m pf gegen sich selbst aufgeben. Würde sie danach dasselbe sagen? » Es ist egal … «
Aber auch s i e m ußte m it einer fre m d en Sprache fertigwerden. An einigen Tagen war es besser. Dann kuschelte sie sich in das Sofa und redete träu m e r isch von der
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