Tod im Jungfernturm
Plastiktüte!« lachte Lauri. »Eine blöde Kekstüte!«
»Das ist aber was drin.«
»Laß mal sehen!« Die Tüte landete an Deck, und die Jungen gingen in die Hocke, um sie besser anschauen zu können. Die Oberfläche der Tüte war von dem kondensierten Wasser undurchsichtig geworden. Es war etwas drin, etwas Weiches und Längliches. Während sie ihren Fang betrachteten, wurde es still.
»Wir sagen niemandem etwas!« entschied Juho. Lauri starrte ihn mit runden Augen an und hielt sich den Schritt.
»Verdammt, das muß aber weh getan haben!«
»Niemandem. Versprich es!« Lauri nickte gedankenverloren. Das war vielleicht am besten.
Und dann kam der Abend mit der Sehnsucht nach dem Sandmännchen, nach Mama und Papa und der Kakaotasse, auf der »Lauri« stand. Er hatte seinen Teddy Björne nicht mitgenommen, und Snigel, die Schnecke, auch nicht. In einem Anfall von Übermut hatte er beide zu Hause auf dem Bett liegen lassen, und jetzt vermißte er sie. Das Licht schien zu seltsam durch die Gardinen. Das dunkle Wasser blinkte bösartig und warf schwarze, Unglück verheißende Lichtreflexe durch den Stoff. Schatten wanderten über die Wand und verschwanden. Licht in flimmernden Streifen, ständig in Bewegung und ständig auf der Jagd nach den Schatten. Die Fender knarrten seltsam, als würde jemand mit schleppendem Schritt übers Deck gehen. Trotz der Musik von den Hafenlokalen konnte er es ganz deutlich hören. Da draußen schrie eine Frau. Bestimmt hatte sie das Geisterkind gesehen, das mit zerrissenen Kleidern kam, um sich alles zurückzuholen, was ihm gehörte.
Lauri spürte, wie der Kloß in seinem Hals zu einem Weinen anschwoll, und zog sich die Decke übers Gesicht. Wenn alles dunkel war und Anja und Matti schliefen, würde der Geist zu ihnen kommen. Er würde durch die geschlossene Tür gehen oder sich wie ein Slimy durch das Schlüsselloch pressen. Bestimmt war er superwütend. Wo doch die Möwe ihm den Pimmel mit ihrem Schnabel abgezwickt hatte, und dann …
»Was habt ihr mit meinem Pimmel gemacht!« Er würde ihn nicht finden. Und nun war das Geisterkind gekommen, um sich einen neuen zu besorgen. Vielleicht ja den von Lauri. Dieser Gedanke war einfach zu erdrückend und zu schrecklich. Lauri weinte laut, und Anja, die ihn hörte, sprang aus ihrer Koje.
»Was ist denn, Lauri? Tut dir irgendwas weh?« Er fühlte nach. Noch nicht, aber vielleicht bald. Er schrie einfach los. Matti machte das Licht an, und Juho setzte sich verschlafen in seinem Bett auf.
»Hast du Heimweh?« fragte Matti beunruhigt.
»Da war ein Pimmel in einer Plastiktüte.« Matti fühlte sich kurz ertappt. Hatten die Kinder sie doch belauscht und Dinge gesehen, die nicht für Kinderaugen geeignet waren? Verdammt, was würde Leena sagen, wenn das rauskam?
»Du solltest doch nicht …« Juho kletterte halb aus dem Bett. Doch als er sah, wie besorgt Lauri war, fiel es ihm schwer, hart zu bleiben, und er gab nach:
»Okay, wir haben einen Pimmel in einer Plastiktüte gefunden …«
Lauri sah erleichtert aus. Matti war noch verwirrter.
»Wo denn, kannst du mir zeigen, wo er jetzt ist?«
»Draußen«, sagte Juho. Anja zog ihre Jeans an, stopfte das kurze, glänzende Nachthemd in die Hose und zog den Reißverschluß zu.
»Dann gehen wir jetzt raus und sehen nach.«
»Nein, er ist böse und gefährlich. Mach nicht die Tür auf!«
Lauri zog die Decke so weit hoch, daß man nur noch seine runden und sehr erschrockenen Augen sehen konnte.
»Wer ist böse und gefährlich?« fragte sie.
»Das Geisterkind, es will seinen Pimmel zurückhaben, den die Möwe abgezwickt hat.«
»Oh, entschuldige Lauri, entschuldige! Ich habe doch nur einen Witz gemacht. Das mit der Möwe, das war nur ein Witz. Ich werde so was nicht mehr sagen«, beteuerte Anja. Matti lachte. Damit war die Sache ja wohl erledigt.
»Es gibt ihn aber wirklich«, sagte Juho. »Wir haben ihn ins Cockpit gelegt.«
»Deshalb kann er ihn nicht finden, und jetzt will er sich rächen«, sagte Lauri mit ängstlicher Stimme. »Ich gehe nicht hinaus, niemals!«
»Ich bleibe hier bei dir, dann kann Juho Matti zeigen, was ihr gefunden habt.« Anja setzte sich auf Lauris Koje und strich ihm aufmunternd übers Haar. Er hatte einen frisch geschnittenen Stoppelschnitt, und sie konnte es einfach nicht bleiben lassen, darüber zu streichen. Genau, wie man unbedingt in knubbelige Babyschenkel kneifen muß, dachte sie und lächelte ihn an.
»Morgen gehen wir ins Pippi-Langstrumpf-Haus. Das
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