Tod im Moseltal
er hier in einem fremden Zimmer, mit einer fremden Frau in dem Bett, in dem er sicher nicht übernachten würde. War Marie Steyn ihm eigentlich wirklich noch fremd? Er wusste mittlerweile so viel über sie, fast ihre ganze Lebensgeschichte. Sie hatte sich während der Fahrt weit geöffnet, ihm damit zu verstehen gegeben, dass sie ihm vertraute, dem Privatmann Christian Buhle, nicht dem Kommissar. Dennoch war sie die Frau des Mordverdächtigen und musste ihm somit weiter fremd bleiben. Der Gedanke erfüllte ihn mit einer erdrückenden Leere.
Mitten in diesem emotionalen Vakuum registrierte er, wie sich die Zimmertür öffnete. Durch den langsam größer werdenden Spalt trat Marie ins Zimmer. Buhle schaute von ihren zierlichen Füßen, den nackten schlanken Beinen über die zerknitterte Bluse hinauf zu ihren geröteten Augen. Sie schien nicht geschlafen zu haben. Nach ein paar Schritten blieb sie stehen.
»Entschuldigen Sie, dass ich das vorhin so entschieden habe, aber ich konnte … ich brauchte einfach eine Auszeit.«
Buhle nickte. »Wie geht es Ihnen …?« Er stockte, dann setzte er neu an: »Wie geht es dir jetzt?«
Marie versuchte ein dankbares Lächeln. »Nicht gut, und dir?«
»Geht so.«
»Ich mach mich schnell ein wenig frisch und zieh mich an. Müssen wir gleich los?«
Wieder nickte er.
Marie verschwand wieder im Schlafzimmer. Buhles Blick blieb an der nur angelehnten Tür hängen. Mühselig versuchte er, ein Gefühl in sich zu lokalisieren, das lange untergetaucht war. Es war aber noch zu weit weg, er konnte es nicht greifen.
Die Tapas-Bar war erstaunlich: Buhle war noch nie in Spanien gewesen, aber nach wenigen Schritten wusste er, dass er hier ein Stück der Iberischen Halbinsel betreten hatte.
Marion schien noch nicht da zu sein. Bis auf einen Tisch hinten in der Ecke war das Restaurant voll besetzt. Sie gingen zur Theke und fragten die mit ihren langen blonden Haaren in dieser Umgebung völlig deplatziert wirkende junge Frau nach dem für Reens reservierten Tisch. Sie wusste von keiner Bestellung und rief auf Spanisch etwas in Richtung Küche. Die Antwort brachte die Erkenntnis: »Ah, der Tisch für Marion!«
Sie geleitete Marie und Buhle vorbei an dem leeren Tisch hinaus in einen Gang, an dessen Ende sich eine als privat gekennzeichnete Tür befand. Ohne sich um ihr erstauntes Gefolge zu kümmern, öffnete sie sie und führte ihre beiden Gäste in einen unaufgeräumten Wohnungsflur und von dort in eine kaum weniger chaotische Küche. Dort saß Marion Reens am Küchentisch und knabberte bereits genüsslich an einem mit rotem Pulver bedeckten knusprigen Hähnchenflügel.
Während die Blonde die Küche wieder verließ, legte Marion den abgenagten Flügel beiseite und wischte sich die Finger an einer Serviette ab.
»Ich hab gedacht, hier ist es ungestörter. Wenn wir fertig sind, können wir immer noch an die Theke, wenn ihr wollt. Ist das okay so? Drinnen hätten wir keinen Platz mehr bekommen.«
Marie nickte. Auf dem kurzen Spaziergang vom Hotel zum Restaurant schien sie sich wieder gefangen zu haben.
»Ich hab Salvador gesagt, er soll uns ein paar seiner Lieblingstapas bringen, da ist bestimmt für jeden was dabei.« Sie zeigte auf die Unmenge kleiner Schälchen, die in der Mitte des Tisches standen, dann fragte sie unvermittelt: »Also, was möchtest du über die dunklen Seiten des Thomas S. wissen?«
Der Blick ihrer grünen Augen fixierte ihn. Buhle fand, ihnen fehle etwas Glanz, sonst wäre sie sicher in der Lage gewesen, jeden Mann in ihren Bann und anschließend wehrlos zu sich herüberzuziehen. Aber vielleicht hatte sie das in der Vergangenheit bereits zu oft gemacht und war zu häufig enttäuscht worden von den Konsequenzen.
»Könnte Thomas Steyn jemanden töten?«
»Ja.«
Pause.
»Warum?«
»Ich kann nur erzählen, wie ich Tom zu Schulzeiten erlebt habe. Und damals war er im Prinzip ein fieser Arsch.« Marion sagte dies mit nahezu neutraler Stimme. »Was Tom und mich damals zusammenführte, waren der gemeinsame Start im Internat, der Hass auf unsere Eltern, die uns dahin geschickt hatten, und die Nervereien mit den Lehrern und deren reformpädagogischem Gesülze.«
Sie machte eine Pause, um sich eine in Öl eingelegte getrocknete Tomate in den Mund zu schieben. Kauend fuhr sie fort: »Ich war zu der Zeit ziemlich hart drauf, deshalb haben mich meine Eltern ja auch in den Odenwald abgeschoben. Ich liebte es, Menschen an den Rand des Wahnsinns zu treiben. Wen ich auf dem
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