Tod im Netz: Kriminalroman (Oldenburg-Krimi) (German Edition)
kribbelte wie verrückt, dennoch zog sie die Hand weg.
» Ich weiß, ich hätte mich früher melden können. Aber ich habe zur Zeit echt Stress in der Bank und viel zu tun.« Wohl eher Stress in der Terminplanung der vielen Weibsen, wahrscheinlich macht er nicht mal vor den weiblichen Trainees der Bank halt.
» Ich kann mich noch sehr genau an unsere letzte gemeinsame Nacht erinnern. Was genau meintest du denn, als du am nächsten Morgen sagtest: ‚Ich rufe dich an, ganz bestimmt‘?« Zum ersten Mal an diesem Abend konnte sie Verunsicherung und Verärgerung in seinem Gesicht lesen.
» Och, komm schon, hör auf mit diesem Frauenscheiß.«
» Frauenscheiß? Ich glaub das jetzt nicht!« Lissi stand wutentbrannt auf, warf sich ihre Winterjacke über und marschierte zum Ausgang. Sie hatte die Klinke schon in der Hand, ließ sie los und ging nachdenklich zu ihm zurück, als hätte sie etwas liegen lassen.
» Eine Sache noch…« Sie nahm seine hübschen Wangen und zog ihn zu sich ran. Als ihre Lippen sich trafen, durchzuckte es sie wie bei der ersten Berührung mit der Hand, nur tausendmal schlimmer. Er war so überrascht, dass er im ersten Moment den Kuss gar nicht erwiderte. Dann aber konnte sie deutlich spüren, wie groß sein Verlangen war. Großer Gott, kann der küssen. Lass mich nie mehr los, du Schuft!
Als seine Hand in ihre Jacke an ihre Taille fasste, beendete sie abrupt den Kuss und verließ , ohne noch ein Wort zu verlieren, den Laden. Sie bemerkte nicht, wie viele Gäste die filmreife Szene interessiert beobachtet hatten.
Während sie durch die Wallstraße ging, bemerkte sie auch nicht, dass sie von zwei Augen genauestens fixiert wurde.
***
Sie wusste nicht, ob sie sauer auf Ansgar sein sollte oder ob ihr Auftritt vorhin genau die richtige Antwort gewesen war. Einerseits reizte er sie ja , und es gefiel ihr, dass er – wenn auch nach fünf langen Monaten – offensichtlich immer noch großes Interesse an ihr hatte. Auf der anderen Seite fragte sie sich, was sie überhaupt von so einem wollte, dessen Frauenliste vermutlich größer war als er Boxershorts im Schrank liegen hatte. Aber wenn er ihr eigentlich egal war, warum verspürte sie jetzt, wo sie gerade die letzten Stufen zu ihrer Wohnung zurücklegte, immer noch so ein wohliges, warmes Gefühl in der Magengegend?
Dieser Banker-Yuppie war doch mit seinem wichtigen BlackBerry immer online. Schließlich könnte ihm ja eine Nachricht einer Frau durch die Lappen gehen. Sie legte ihre Winterjacke eilig über einen Stuhl, tauschte ihre Straßenschuhe gegen dicke Wollsocken, fuhr wie ein Junkie ihren privaten Laptop hoch und konnte es kaum erwarten, sich bei Facebook einzuloggen. Ihre privaten Einstellungen hatte sie so eingerichtet, dass selbst ihre Facebook-Kontakte nicht sehen konnten, ob sie online war. Gierig tippte sie Ansgar in das Suchfeld ein, und es erschien das Profil von Ansgar Brinkmann. Letzter Eintrag um 23.18 Uhr, er wurde also vor fünf Minuten erstellt.
Nachdem sie das Gedicht gelesen hatte, stemmte si e die Hände vor Empörung in die Hüfte und hörte sich selbst sagen:
» Ich habe DICH geküsst, du Affe.« Oder meinte er etwa eine andere Frau? Hat er nach mir schnell noch eine aufgerissen? Hastig las sie das Gedicht noch einmal:
Der Kuss
Der Kuss, der auf dem Mund dir lag,
Ich hab ihn mir genommen,
Nun jauchz' ich wie ein Vöglein froh,
Was kommen will, mag kommen!
Sie googelte den Wortlaut und fühlte si ch bestätigt. Natürlich geklaut. Das war der Anfang eines Gedichtes, das im Original Der Kuss lautete und stammte aus der Feder von Johanna Ambrosius, einer Schriftstellerin aus dem 19. Jahrhundert. Lisbeth musste sich stark zurückhalten, um dieses Gedicht nicht mit einem 'gefällt mir' zu versehen. Das fehlte noch, dass ich ihm dafür noch zujubele , dachte sie. » Nun jauchz' ich wie ein Vöglein froh«, wiederholte sie laut die dritte Zeile. Was ist denn, wenn er es wirklich so meint?
Nachdem sie sich in zwei Chatr ooms eingeloggt hatte, schaltete sie einen Musikkanal im Fernsehen ein, der gerade Let her go von Passenger dudelte, goss sich einen Rotwein ein, gönnte sich einen Schluck und tanzte mit ausgestreckten Armen zu dem Schmachtlied. Sie hatte das Glas noch gar nicht richtig abgestellt, als sie sah, dass ‚MrJudge‘ sie in einem Chat privat anschrieb.
MrJudge: schöne sophie, bist du da?
MrsSophie: mom
Hektisch fuhr sie den dienstlichen Laptop hoch. Warum tauchte dieser Typ jetzt plötzlich
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