Tod in Blau
brauchten dringend Paul Görlich,
dem er so viele drängende Fragen stellen wollte.
Müde und gleichzeitig
erregt schloss er die Haustür auf und stieg die ausgetretenen Stufen
hinauf. Es war schon spät, vielleicht konnte er den Kindern
wenigstens noch gute Nacht sagen. Ilse öffnete ihm die Tür, als
hätte sie ihn schon auf der Treppe gehört, und sah ihn besorgt
an. »Spät heute.«
»Viel zu tun. Aber es
geht voran«, sagte Leo und hängte Hut und Mantel an die
Garderobe. Er stellte die Aktentasche daneben und fuhr sich mit der Hand
durchs regenfeuchte Haar.
»Wo sind die Kinder?«
»Marie ist im Bett,
Georg liest noch. Ich habe gesagt, ich schicke dich rein, wenn du
rechtzeitig zu Hause bist. Ich mache dir etwas von der Suppe warm.«
Leo trat ins Kinderzimmer. Er
fragte sich immer, wie Marie so ruhig schlafen konnte, wenn bei Georg am
Bett noch Licht brannte, aber sie ließ sich nicht stören, wenn
sie erst einmal im Land der Träume versunken war. Er strich ihr sanft
übers Haar, rückte den Plüschbären in ihrem Arm
zurecht und trat dann zu seinem Sohn, der im Schein der Nachttischlampe
einen Abenteuerroman las.
»Spannend?«
Georg nickte. »Spielt
in Indien. Ein Maharadscha freundet sich mit einem englischen Offizier an,
und der verliebt sich in die Schwester des Maharadschas.« Er rümpfte
ein wenig die Nase. »Es gibt aber auch Kämpfe und Verrat und so
weiter. Nicht nur so 'n Liebeskram.«
Leo lächelte. »Der
kann auch mal ganz schön sein.«
»Wie bei Tante Ilse?«,
fragte sein Sohn grinsend.
Leo zuckte innerlich
zusammen. »Ja, so in etwa«, meinte er nur und gab seinem Sohn
einen Kuss auf die Stirn. »Noch fünf Minuten, dann ist Schluss.
Schlaf gut.«
In der Küche duftete es
köstlich. Ilse schöpfte von der wunderbar sämigen Suppe in
einen Teller und stellte ihn mit zwei Scheiben Brot vor ihren Bruder hin.
Er aß hungrig und bemerkte erst danach, wie still sie war.
»Ilse, ist etwas mit
dir?«
Sie wollte den Kopf schütteln,
fuhr sich dann aber mit der Hand über die Augen. Leo stand auf, zog
ihr einen Stuhl heran und drückte sie sanft darauf nieder. Dann schob
er Teller und Löffel beiseite und ergriff ihre Hand. »Was ist
los? Sag's mir bitte.«
Er wusste nicht, wann er
zuletzt eine solche Nähe zu ihr gespürt hatte. Eigentlich nicht
seit damals, als Dorothea gestorben war und sie auf dem Friedhof seine
Hand genommen hatte.
»Es ist wegen Bruno«,
sagte sie leise. »Er hat seit Tagen nicht angerufen, ist nicht mehr
hergekommen. Ich … ich weiß nicht, ob ich etwas falsch
gemacht habe, ich kenne mich mit so was nicht aus. Wir waren glücklich
miteinander, auch im Spreewald, das hat Bruno selbst gesagt. Aber -«
Sie wischte sich energisch über die Augen. »Du guckst so
komisch, Leo. Weißt du etwas darüber, hast du mit ihm geredet?
Wolltest du, dass er sich nicht mehr mit mir trifft?«
Leo war erschüttert,
dass sie ihm das zutraute. »Natürlich nicht.« Es sah
beinahe so aus, als hätte Schneider von der bevorstehenden Verhaftung
Wind bekommen und sich rechtzeitig davongemacht. Er selbst brauchte sich
keine Vorwürfe zu machen, und um von Malchow, dessen Fahndungserfolg
damit zunichte gemacht wurde, tat es ihm auch nicht leid. Zwar war es
denkbar, dass von Malchow ihn beschuldigen würde, den Mann gewarnt zu
haben, doch dann müsste er auch eingestehen, dass er Leo unter Druck
gesetzt hatte. Also konnte er Ilse guten Gewissens alles erzählen.
Er berichtete kurz, wie von
Malchow Schneider beobachtet und mit Ilse zusammen gesehen hatte. Sie
blickte ihn fassungslos an. »Und du hast mir nichts davon gesagt?
Wie konntest du nur?«
Leo goss zwei Gläser
Bier ein und stellte seiner Schwester eins hin. Sie hob abwehrend die
Hand, doch er sagte energisch: »Heute kannst du es gebrauchen.«
Er setzte sich wieder, nahm
den Kragen ab und öffnete den obersten Hemdknopf, um sich Luft zu
machen. Dann erklärte er, dass er aus Gründen der Geheimhaltung
nicht berechtigt gewesen sei, mit irgendjemandem über die
bevorstehende Verhaftung zu sprechen. Es klang trocken und amtlich, aber
seine sachlichen Worte schienen Ilse ein wenig zu beruhigen. »Trotzdem,
ich … was soll ich denn jetzt machen?« Sie stützte den
Kopf in die Hände. »Du meinst, er ist nicht vor mir, sondern
vor der Polizei davongelaufen?«
Leo nickte. »Ganz
sicher. Auch wenn es ein
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