Tod in den Wolken
Leute. Nun gut, ich untersuche heute, drei Wochen nach dem Verbrechen, das Ergebnis in elf verschiedenen Fällen.»
«An Ihnen ist ein spitzfindiger Philosoph verloren gegangen», spottete der Inspektor. Trotzdem beugte er sich interessiert über das Blatt und las:
Miss Grey. Ergebnis: einstweilige Verbesserung. Höheres Gehalt.
Gale. Ergebnis: schlecht. Verlust von Patienten.
Lady Horbury. Ergebnis: gut, wenn sie CL 52 ist.
Miss Kern Ergebnis: schlecht, da es seit Giselles Tod unwahrscheinlicher geworden ist, dass Lord Horbury Beweise von der Untreue seiner Frau bekommt, die ihm eine Scheidung ermöglichen.
«Hm», unterbrach Japp seine Lektüre. «Sie meinen also, sie habe ein Auge auf Lord Horbury geworfen? Alter Freund, Sie wittern gar zu gern Liebesgeschichten.»
Nach dieser Bemerkung, die Poirot mit einem milden Lächeln hinnahm, wandte sich Japp wieder dem Papier zu.
Clancy. Ergebnis: gut. Verspricht sich hohe Einkünfte von einem Buch, das den Mord behandelt.
Dr. Bryant. Ergebnis: gut, wenn RT 362.
Ryder. Ergebnis: gut, weil er durch Artikel eine kleine Summe Bargeld einnahm, die der Firma über die Krise hinweghalf. Des weiteren gut, wenn Ryder XVB 724 ist.
Dupont. Ergebnis: unbeeinflusst.
Jean Dupont. Ergebnis: das Gleiche.
Mitchell. Ergebnis: unbeeinflusst.
Davis. Ergebnis: unbeeinflusst.
«Und Sie bilden sich ein, dass dies Ihnen weiterhelfen wird?», fragte Japp zweifelnd.
«Es vermittelt einem immerhin ein klares Bild», erläuterte Poirot. «In vier Fällen – Mr Clancy, Miss Grey, Mr Ryder und vermutlich auch Lady Horbury – steht das Ergebnis auf der Habenseite; in den Fällen von Mr Gale und Miss Kerr indes auf der Sollseite. In vier Fällen liegt, soweit wir wissen, überhaupt kein Ergebnis vor; und in einem – Dr. Bryant – ist entweder kein Ergebnis oder ein deutlicher Gewinn vorhanden.»
«Infolgedessen?»
«Infolgedessen müssen wir suchen.»
«Wird nichts dabei herauskommen», prophezeite Japp düster. «Wir hängen in der Luft, solange die Pariser uns nicht neues Material schicken. Ich wette, dass ich aus Giselles Wirtschafterin, dieser Elise Grandeur, mehr herausgeholt hätte als Fournier.»
«Das bezweifle ich, mein Freund. Das Fesselndste an diesem ganzen Verbrechen ist die Persönlichkeit der Toten. Eine Frau ohne Freunde, ohne Verwandte, ohne – so möchte ich sagen – persönliches Leben. Eine Frau, die einst jung war, die einst liebte und litt und dann mit fester Hand die Läden schloss. Vorüber all das! Nicht ein Bild, nicht eine Erinnerung, nicht eine Nippsache. Marie Morisot wurde Madame Giselle, die Geldverleiherin.»
«Glauben Sie, dass es in ihrer Vergangenheit einen Fingerzeig gibt?»
«Vielleicht.»
«Nun, wir könnten ihn gebrauchen! Vorläufig haben wir überhaupt keinen Anhaltspunkt.»
«Sie irren, mon cher. Ich wenigstens habe drei: die Wespe, das Gepäck der Passagiere und den überzähligen Kaffeelöffel.»
«Monsieur Poirot, Sie sind übergeschnappt!», sagte Inspektor Japp liebenswürdig. Und nach einer Pause fügte er hinzu: «Was meinen Sie denn übrigens mit dem Kaffeelöffel?»
«Madame Giselle hatte zwei auf ihrer Untertasse liegen.»
«Das bedeutet, nach einem alten Volksglauben, eine Hochzeit.»
«In diesem Fall bedeutete es ein Begräbnis», verbesserte Hercule Poirot.
22
Als Norman Gale, Jane und Poirot sich zum Dinner trafen, hörte der junge Zahnarzt erfreut, dass seine Dienste als Erpresser ab sofort nicht mehr benötigt würden. Er sei tot, der gute Mr Robinson, erklärte Poirot und forderte seine beiden jungen Gäste auf, im Gedenken an den Verblichenen einen Schluck Wein zu trinken.
«Möge er in Frieden ruhen», lachte Norman, indem er sein Glas hob.
«Was ist geschehen?», forschte Jane Grey, zu Hercule Poirot gewandt.
«Ich habe herausgefunden, was ich wissen wollte, Mademoiselle.»
«Bestanden Verbindungen zwischen ihr und Giselle?»
«Ja.»
«Das ergab ja schon meine Unterredung mit ihr», warf Norman Gale ein.
«Aber mir lag am genauen Sachverhalt», sagte Poirot.
Das junge Paar sah ihn fragend an, aber der kleine Belgier begann, statt Auskunft zu erteilen, in herausfordernder Weise die Wechselbeziehungen Karriere und Leben zu erörtern.
«Die meisten Menschen wählen – gleichgültig, was sie Ihnen erzählen – den Beruf, den sie sich im Geheimen wünschen. Ein Mann, der in einem Büro arbeitet, wird Ihnen vielleicht beteuern, wie sehr er sich danach sehne, als Forscher ferne
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