Tod in Florenz
sein. Sie gehören wahrscheinlich zu den Menschen, denen alles auffällt.«
»Ja.«
Sie gingen über eine Brücke, deren niedriges Geländer knallgelb gestrichen war, und kamen wieder auf den Marktplatz mit dem Polizeirevier, der Kirche, einigen Bars und ein paar Geschäften, die ihre Metallgitter heruntergelassen hatten. In der Mitte des Platzes stand die triefende Bronzestatue eines Partisanen, der dem Feind trotzig die nackte Brust darbot. Der Regen hatte zwar aufgehört, aber die Gehwege waren immer noch naß und schmutzig und die Pfützen voll. Die Luft war immer noch kalt und feucht auf dem jetzt wie ausgestorben daliegenden Platz. Um die braunen Läden der Wohnungen über den Bars und Geschäften bröckelte der nasse gelbe Putz, Regen schien das natürliche Element der Stadt zu sein. Man konnte sie sich unmöglich bei strahlendem Sonnenschein vorstellen.
»Wahrscheinlich war das hier ursprünglich mal die ganze Stadt«, sagte der Maresciallo, während sie über den Platz schlenderten und dabei versuchten, nicht in die Pfützen zu patschen. Er sagte es mehr, um Niccolini von seinen Bedenken abzulenken, als aus echtem Interesse. Er fand das Ganze bedrückend.
»Stimmt, bevor sie die Fabriken gebaut haben, die nach dem Krieg, meine ich. Da gab es nur das alte Zentrum und die Medici-Villa – sie liegt auf dem Hügel, aber bei diesem Wetter sieht man sie kaum.«
Ein milchiger Dunst füllte das Tal und lag über dem unteren Teil des Hügels. Darüber zeichneten sich wie in der Luft hängend die schwarzen Umrisse einer Reihe von Zypressen und Schirmakazien gegen den grauen Himmel ab und formten die Hügelkuppe nach. Von der Villa konnte der Maresciallo nichts erkennen.
»Wenn das Wetter schöner wäre, dann …« Niccolini tat die Villa mit einer Handbewegung ab. »Gehen wir in der Bar einen Kaffee trinken! Wann wollen Sie zurückfahren?«
»Ich nehme den nächsten Bus.«
»Wir fragen drinnen. Ich fahre nie mit dem Bus, deshalb kenne ich den Fahrplan nicht. Ah! Zwei Kaffee bitte – und einen Bus nach Florenz für den Maresciallo hier, wenn Sie das auch bieten können!«
»In einer Viertelstunde fährt einer. Wir haben Fahrscheine, wenn Sie einen brauchen.«
Die schlecht beleuchtete Bar war leer bis auf einen Jungen, der im Hintergrund an einem Automaten spielte.
»Er will die Wahl gewinnen, das ist es«, sagte Niccolini und knallte seine Tasse auf die Untertasse.
»Robiglio? Die Kommunalwahl?«
»Und ich sage Ihnen offen, daß ich diese Tatsache nutze, um ein paar Leuten zu helfen.«
»Warum nicht?«
»Aber ich sage Ihnen noch etwas. Letzte Woche hat er sich noch geweigert, Sestini einzustellen – na ja, deren Stimme würde er sowieso nicht kriegen, auch wenn er der einzige Kandidat wäre, sie sind eiserne Kommunisten, deshalb hatte ich keine großen Hoffnungen, aber ich dachte, ich probiere es trotzdem … Sestini ist ein guter Arbeiter, Formgießer bei Moretti, aber natürlich hat Moretti schon einen Lehrling und konnte den Sohn für seinen kleinen Betrieb nicht nehmen, auch nicht, um einem guten Arbeiter einen Gefallen zu tun. Und nun hat unser Freund Robiglio sich anders besonnen, verstehen Sie?«
»Er stellt den Jungen ein.«
»Ich frage mich, warum.«
»Tja, Sie kennen ihn besser als ich.«
»Ich kenne ihn weiß Gott. In seiner Vergangenheit gibt es, soweit ich gehört habe, einiges, das sich bei näherem Hinsehen nicht besonders gut machen würde.«
»Vergangenheit? Wie weit zurück?«
»Zweiter Weltkrieg. Ich kenne nicht die ganze Geschichte, aber ich habe da so einiges mitbekommen. Ein Schwarzhemd, dem es gelungen ist, die Folgen zu überleben, Sie wissen, welche Sorte ich meine. Sein Vater war unter Mussolini hier Bürgermeister. Natürlich hat es nicht lange gedauert, bis sie mit ihrem Geld und ihren einflußreichen Freunden wieder hochgekommen sind, nachdem sich alles beruhigt hatte.«
»Ich verstehe. Sie meinen, er hat vor irgend etwas Angst.«
»Es ist lange her, aber die Leute vergessen so etwas nicht.«
»Und Sie meinen, es könnte nicht etwas aus jüngerer Zeit sein? Schließlich wollte er Ihnen letzte Woche nicht helfen – und ich habe ehrlich gesagt den Eindruck, er war nicht allzu begeistert über mein Hiersein.«
»Meinen Sie? Ich habe ja gleich gesagt, daß Sie zu den Leuten gehören, denen Dinge auffallen! Also, mir schmeckt die Sache nicht.«
»Das merke ich. Wenn es Sie interessiert, er hat mich gesehen, als ich aus Morettis Fabrik kam.«
»So, hat er? Na, ich
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