Tod in Garmisch
Tagblatt las. Magdalena
wappnete sich gerade innerlich für den Anruf, der ohne Zweifel kommen würde,
als die Tür des Foyers aufgerissen wurde und Mirl Schedlbauer hereinrauschte.
In ihrem Fahrwasser folgten ihre Tochter Nanni und Christoph Bichlmeier, ihr
Neffe, der in Grainau einer Rechtsanwaltskanzlei vorsaß. Die drei bauten sich
vor ihr auf.
Magdalena starrte sie mit offenem Mund an, unfähig,
sich vorzustellen, was sie von ihr wollen könnten.
»Grüß Gott«, schaffte sie endlich hervorzubringen.
»Guten Tag«, antwortete Mirl Schedlbauer. »Bei dir
wohnt an gwisser Kant. I will mit eam redn.«
Magdalena war sekundenlang nicht in der Lage, darauf
zu antworten. Herr Kant wollte nicht, dass sein Name erwähnt wurde. Das hieß,
dass sie ihn verleugnen würde. Aber Kant saß direkt in Sichtweite im
Frühstücksraum. Mirl konnte ihn sehen, doch offenbar erkannte sie ihn nicht.
Was konnte sie von ihm wollen?
»Haben Sie verstanden, was Frau Schedlbauer gesagt
hat?« Christoph Bichlmeier sah Magdalena auf die glatte, arrogante Art an, die
sie immer schon angeekelt hatte. Der Bichlmeier Stoffl, dachte sie. Immer der
Unbeliebteste in der Klasse. Zweimal sitzen geblieben. Mundgeruch. Hat es aber
irgendwie geschafft. Nannis Blicke schweiften durch das Foyer und saugten
Details auf. Ihre gekräuselte Nase sollte überheblichen Ekel ausdrücken, aber
Magdalena erkannte, dass es in Wahrheit Neid war.
»Wir pflegen keinerlei Auskünfte über unsere Gäste zu
geben«, sagte Magdalena endlich und schaffte es irgendwie, ihr Profi-Lächeln
anzuknipsen.
»Wir wissen, dass dieser Herr Kant hier bei Ihnen
logiert. Bitte teilen Sie ihm also mit, dass Frau Schedlbauer ihn sprechen
möchte«, sagte der Stoffl.
Magdalena schwankte zwischen Ärger und Amüsement über
die gestelzten Formulierungen, mit denen der Stoffl seinen oberbayrischen
Zungenschlag zu kaschieren versuchte. Dabei fiel der dadurch nur noch
deutlicher auf.
»Ich kann nur wiederholen, wir geben keine Auskünfte
darüber, wer hier Gast ist.«
Plötzlich sah sie Kant in dem Durchgang zum
Frühstücksraum stehen.
»Vielen Dank, Frau Meixner, Ihre Diskretion ist sehr
in meinem Sinne. Aber hier wollen wir mal eine Ausnahme machen … Mein Name ist
Kant. Jo Kant«, stellte er sich vor und fixierte den Bichlmeier Stoffl auf eine
Art, die diesen scheinbar um einige Zentimeter schrumpfen ließ. »Sie wünschen?«
»Mirl Schedlbauer. I muss mit Eana redn.«
Kant nickte und bat die drei mit einer Geste in den
Frühstücksraum.
»Gibt es in diesem Hotel keinen Raum, wo wir ungestört
sind?«, fragte Stoffl.
»Ich fühle mich hier keineswegs gestört«, antwortete
Kant. Er ging hinein und setzte sich wieder an seinen Tisch, den Rücken zur
Wand, den Eingang und den ganzen Raum im Blick. So, wie Magdalena ihn
mittlerweile einschätzte, war das kein Zufall.
Mirl Schedlbauer war eine groß gewachsene Frau. Sie
straffte sich unter ihrer rot gefärbten, betonhart wirkenden Dauerwelle und
marschierte in den Frühstücksraum hinein, als betrete sie Feindesland. Stoffel
folgte zögernd. Nanni schoss noch einen hasserfüllten Blick auf Magdalena ab,
bevor auch sie hinterherging.
Mirl verteilte ihre Truppe, so gut es die taktische Situation
zuließ: Stoffl so, dass er Magdalena im Auge behalten konnte, sich selbst mit
dem Rücken zum Durchgang, sodass von dort nur ihr onduliertes Haar zu sehen
war, und Nanni so, dass Mirl sie unter Kontrolle halten konnte.
Magdalena blieb hinter ihrem Tresen sitzen. Sie
versuchte, nicht allzu auffällig in den Frühstücksraum zu starren und
gleichzeitig so viel wie irgend möglich mitzubekommen.
Herr Kant hatte ein Pokergesicht aufgesetzt, und
Magdalena war sich sicher, dass er diesen Besuch nicht erwartet hatte – und
nicht gewünscht.
Leider verlief das Gespräch so leise, dass sie kein
Wort verstehen konnte. Sie versuchte, in Stoffl Bichlmeiers Gesicht zu lesen.
Er mochte glauben, ebenfalls ein Pokerface zu besitzen, für Magdalena wirkte er
massiv gestresst und besorgt.
»Das ist doch lachhaft«, hörte sie Nanni einmal
kreischen, worauf Mirl sie sofort mit einem heftigen »Sei stad!« zur Ruhe
brachte.
Herr Kant winkte Magdalena mit einer kleinen Geste zu
sich.
»Ich hätte gern noch einen Espresso«, sagte er, als
sie an den Tisch trat. »Möchten die Herrschaften auch etwas?«
»Nein«, antwortete Mirl scharf, als Stoffl den Mund
für eine Bestellung öffnete.
Magdalena ging in die Küche und machte den Espresso.
Sie
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