Tod in Garmisch
Postenschrot, dessen einzelne Kugeln einen
erheblichen Durchmesser haben, in diesem Fall 8,6 Millimeter, also Größe 00.
Man spricht auch von Sauposten.«
»Woher wissen Sie, dass es mehrere Schüsse waren?«,
fragte Frau Isenwald.
»Wir haben die Kugeln gezählt. Bei der Größe 00 sind
je nach Größe der Patrone maximal zwanzig Kugeln in einer Ladung, in der Regel
weniger. Wir haben achtundzwanzig Kugeln gefunden. Man weiß natürlich nicht,
wie viele danebengegangen sind.«
Zufrieden schaute er die Leiche auf seinem Tisch an.
»Interessant ist eine weitere Schusswunde am äußeren
rechten Oberarm. Es wurde frontal auf das Opfer geschossen, aber er wurde nicht
voll getroffen, wir fanden nur sechsunddreißig Schrotkugeln der Größe 6, das
heißt von 2,7 Millimeter Durchmesser, in Bizeps und Bindegewebe. Von denen sind
natürlich erheblich mehr in einer Patrone als von denen der Größe 00. Ich
persönlich tippe übrigens hier auf Geschosse der Marke Rottweil Express. Aber
das ist nur meine Meinung als Jäger, nicht als Experte. Da werden Sie noch eine
kompetentere Meinung erhalten. Die Kugeln sind sämtlich ins Labor gegeben. Die
relativ geringe Penetrationstiefe lässt vermuten, dass der Schuss aus einer
Entfernung von über dreißig Metern abgefeuert wurde. Trotzdem war er für das
Opfer erheblich unangenehmer als die beiden anderen.« Dr. von Pollscheidt sah
Schwemmer verschmitzt an.
»Da lebte er also noch«, sagte Schwemmer.
»Ich schaffe es wirklich selten, den Herrn
Hauptkommissar dranzukriegen«, sagte von Pollscheidt lächelnd zu Frau Isenwald.
Sie zeigte Schwemmer unauffällig einen gereckten
Daumen. Was ihn dabei beeindruckte, war ihr unbewegtes Gesicht.
»Weiterhin haben wir nicht weniger als …«, von
Pollscheidt griff nach einer Kladde, die neben dem Toten auf dem
Untersuchungstisch lag, »… nicht weniger als siebenundsechzig Knochenbrüche festgestellt.
Was nicht viel ist für jemanden, der in eine Klamm stürzt. Dabei dürfte
übrigens auch das Gesicht weitere Verletzungen erhalten haben. Ich würde
vermuten, dass er an beiden Seiten mehrmals angeschlagen ist und dann auch noch
auf dem Grund.«
»Jaja«, brummte Schwemmer.
»Allerdings war er auch da bereits tot … Gut,
das ist natürlich nicht wirklich überraschend. Dass ihm jemand ins Gesicht
schießt, nachdem er in die Klamm gestürzt ist, wäre natürlich schon
recht … unwahrscheinlich.«
»Und schwierig«, sagte Schwemmer.
»Das ist also alles nicht überraschend«, wiederholte
Dr. von Pollscheidt. »Allerdings sind uns … nun ja, an dieser Stelle möchte ich
mir erlauben zu sagen: sind mir Einblutungen aufgefallen, die der Bruch
des linken Wadenbeines hinterlassen hat. Zu dem Zeitpunkt lebte er also
noch, und nach der Größe der Einblutungen auch noch eine Zeit lang danach, so
etwa sechzig Minuten, würde ich meinen.«
Von Pollscheidt breitete die Hände aus. »Aus
pathologischer Sicht wäre das – bis jetzt – alles.«
»Der hat wirklich was mitgemacht«, sagte Frau
Isenwald.
»Das kann man sagen«, meinte von Pollscheidt.
»Eine Menge Fakten«, sagte Schwemmer anerkennend.
Dr. von Pollscheidts Morgen hatte er damit auf jeden
Fall gerettet.
»Ich fasse also zusammen«, sagte der Doktor strahlend.
»Dem Mann wurde in den Arm geschossen. Er hat sich das Wadenbein gebrochen. Die
Reihenfolge ist unklar. Etwa eine Stunde später starb er, wir wissen noch
nicht, woran. Daraufhin schoss ihm jemand mehrmals ins Gesicht. Und dann
stürzte er in die Klamm.«
»Das reicht für einen Tod«, sagte Schwemmer.
»Da geb ich Ihnen recht. Aber abgesehen vom rein
Medizinischen …« Von Pollscheidt winkte sie zu sich. Er trat neben die Leiche
und nahm ihre beiden Hände. Die Arme des Toten folgten deren Bewegungen, als
seien sie aus Gummi.
»Sehen Sie die Fingernägel«, sagte von Pollscheidt.
Schwemmer starrte auf die Hände. Die Fingernägel an
der Rechten waren alle beschädigt: eingerissen, abgebrochen, der am Ringfinger
fehlte ganz. Die Nägel der Linken waren weit weniger in Mitleidenschaft
gezogen, was daran liegen mochte, dass sie sehr kurz gefeilt waren.
»Und?«, fragte Schwemmer.
Dr. von Pollscheidt lächelte selig.
»Jetzt hat er Sie doch drangekriegt, Herr
Hauptkommissar«, sagte Frau Isenwald. »Der Mann dürfte zu Lebzeiten ein
Saiteninstrument gespielt haben. Achten Sie auch auf die Reste der dicken
Hornhaut dort an den Fingerspitzen der Linken.«
»Was ich Ihnen noch anbieten kann,
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