Tod in Garmisch
fünfundvierzig Jahre alt, schwarzbraunes, leicht
gelocktes Haar, einen Meter vierundsiebzig groß, siebzig Kilogramm schwer.
Besonderes Kennzeichen: alte, auffällige Narbe im linken Lendenbereich,
vermutlich durch Stichverletzung.« Er deckte mit einer routinierten Bewegung
das grüne Tuch von der Leiche auf dem mittleren Tisch des Saales.
»Wir vermuten – und das möchte ich betonen: vermuten –, dass der Körper etwa zehn Stunden im Wasser gelegen hat. Die niedrige
Wassertemperatur beraubt uns leider einiger Möglichkeiten zur Feststellung des
Todeszeitpunktes, sodass wir ihn nicht genauer als auf zwischen zwölf und
sechsunddreißig Stunden vor der Bergung terminieren können. Es laufen noch ein
paar Untersuchungen, und wir hoffen auf Präzisierung. Und um Ihrer wichtigsten
Frage zuvorzukommen: Nein , wir kennen die Todesursache noch nicht.«
»Und was mach ich dann hier?«, entfuhr es Schwemmer.
»Mein lieber Herr Schwemmer! Tot ist der Mann
auf jeden Fall. Das bestätige ich Ihnen gerne offiziell und schriftlich. Und
auch, dass er unter Fremdeinwirkung zu Tode kam. Und das sollte doch reichen,
Sie als Kriminalisten für den Fall zu interessieren.« Von Pollscheidt freute
sich wie ein Schuljunge über seine gelungene Replik.
Schwemmer nahm sich vor, es ihm heimzuzahlen, auch
wenn ihm im Moment nichts einfallen wollte. Er verschränkte die Hände hinter
dem Rücken und schritt durch den Raum, den Blick zur Decke gerichtet. Burgl
wäre begeistert gewesen, weil sie sofort erkannt hätte, dass er Jean Gabin
nachmachte. Er hatte sie zu absolutem Stillschweigen verdonnert, nachdem sie
darauf gekommen war.
Von Pollscheidt wandte sich seinem Untersuchungsobjekt
zu. Schwemmer hatte schon viele sezierte Leichen gesehen, er kannte den großen
Y-förmigen Schnitt, mit dem die Medizinmänner ihre Arbeit begannen, und er
wusste, was sie sonst noch so mit ihren gefühllosen Opfern taten. Normalerweise
war er nicht beeindruckt.
Aber diese Leiche sah wirklich mitgenommen aus.
Natürlich war es vor allem das völlig zerschmetterte Gesicht, das den toten
Mann so surreal wirken ließ. Aber auch die Gliedmaßen wirkten unstimmig, als
gehörten sie gar nicht wirklich dazu. Offene Brüche, schwarze Flecken überall.
Man konnte den Eindruck haben, einen Special Effect aus einer CSI -Serie vorgeführt zu bekommen.
»Ich weiß kaum, wo ich anfangen soll.« Von Pollscheidt
winkte sie näher heran. Als sie neben ihm standen, klappte er den Schnitt
auseinander. Schwemmer sah die inneren Organe, aber sie sahen anders aus, als
er sie in Erinnerung hatte. Er drehte sich in seiner Jean-Gabin-Pose vom Tisch
weg und ging zum Fenster des Obduktionssaales.
»Das ist alles wirklich spannend«, sagte von
Pollscheidt ungerührt. »Die inneren Organe sind durch stumpfe äußere Gewalt
weitgehend und extrem geschädigt.«
Schwemmer entdeckte auf einem Beistelltisch eine halb
durchsichtige Plastikdose mit einem unappetitlich wirkenden Inhalt.
»Gehört das hier dazu?«, fragte Schwemmer.
»Was bitte?«, fragte Dr. von Pollscheidt irritiert.
»Das hier?«, fragte Schwemmer. »Was ist das?«
»Oh, das hat meine Frau gestern Abend gekocht. Ich
musste ja wegen dieses Falles hier länger arbeiten, und sie meinte, ich solle
es mir zu Mittag in die Mikrowelle stellen.«
»Verstehe«, sagte Schwemmer. Er klappte die Dose auf
und roch daran »Und was ist es?«
»Ich glaube, so eine Art Fischfrikadelle.«
»Lassen Sie uns weitermachen«, sagte Schwemmer und
klappte die Dose zu.
»Sehr gern. Wo waren wir …« Von Pollscheidt
konzentrierte sich sofort wieder auf seine Arbeit. »Die inneren Organe sind
also weitgehend so geschädigt, dass wir eine ganze Reihe weiterer
Untersuchungen durchführen müssen, bis wir die Todesursache bestimmen können.
Stellen Sie sich vor, der Herr Professor persönlich wird diese Untersuchungen
leiten.«
Schwemmer hätte fast »Ja sakra!« gesagt, aber er
bemerkte, dass Frau Isenwald tatsächlich beeindruckt war.
»Sicher ausschließen können wir Tod durch Ertrinken,
es befand sich nur wenig Wasser in der Lunge. Weiterhin ausschließen können wir
den Tod durch Schusswaffeneinwirkung.«
Schwemmers Augenbrauen hoben sich. »An dem Schuss ins
Gesicht ist er nicht gestorben?«
»Konnte er nicht, weil: Er war schon tot.« Von
Pollscheidt strahlte. »Wir geben den Ermittlern gerne auch mal ein Rätsel
zurück … Dem bereits toten Opfer wurde mindestens zweimal ins Gesicht
geschossen, und zwar mit sogenanntem
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