Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
sein Sterben dauerte mehr als neun Wochen. Er hatte ausreichend Zeit, sich seine letzten Worte gut zu überlegen.«
»Aber er rief Petrus und alle Heiligen an, Köln zu schützen.«
»Das diente wohl mehr der eigenen Läuterung, nachdem er glaubte, die Jungfrau habe ihm die schrecklichen Visionen als Strafe auferlegt für seinen nicht gerade zimperlichen Umgang mit den Kölnern.«
»Anno war ein großer Kölner Herr und Heiliger, der solche gedanklichen Winkelzüge gar nicht nötig hatte! Er liebte seine Kölner aus ganzem Herzen.«
»Du kanntest ihn ja auch so besonders gut, da sein Tod eben mal zweihundert Jahre zurückliegt, während ich nur die Vita, Annonis gelesen habe. Deine Frömmigkeit in allen Ehren, aber wenn du wirklich wissen willst, wie Anno zu seinen Kölnern stand, darfst du dich getrost ins Kloster Siegburg begeben. Wenn er die Kölner so sehr liebte, warum liegt er dann dort begraben und nicht in St. Maria ad Gradus? Und was seine Heiligkeit betrifft, so bezweifele ich nicht die Zahl seiner Mirakel, aber wenn du mich fragst, hat er mehr Augen ausreißen lassen als geheilt. Kein Wunder, daß er auf dem Sterbebett Versöhnung mit den Kölnern suchte, aber bestimmt nicht, weil sein Trachten den Kölnern galt, sondern einzig dem purgatorium.«
»Wäre ich ein Geistlicher wie du, würde ich dich lästerlicher Reden bezichtigen. Manchmal frage ich mich wirklich, wer von uns beiden geistlicher ist, du mit deiner Kutte oder ich braver Färber.«
»Du bist kein braver Färber, sondern ein alter Säufer mit einer braven Tochter. Um dir also die Flausen zu nehmen bezüglich letzter Worte, solltest du wissen, daß Clara von Assisi vor sieben Jahren mit den Worten Jesu aus dem Leben schied – Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist – was fromm, aber keineswegs spektakulär oder besonders mystisch ist.«
»Und was war mit all den Heiligen, die gewaltsam zu Tode kamen«, rief Goddert, der puterrot angelaufen war, »und trotzdem noch Worte der Verachtung für ihre Peiniger fanden oder die Zukunft schauten?«
»Warst du dabei? Die meisten von ihnen werden Aua gesagt haben. Letzte Worte werden gehandelt wie Reliquien. Vor drei Monaten hat Konrad dem Franzosenkönig einen Schrein nach Royaumont geschickt, der, wie es heißt, die Gebeine der heiligen Berga in sich trage. Wenn das so weitergeht, müssen wir den elftausend Jungfrauen noch eine Null hinzufügen, um das wundersame Auftreten heiliger Knochen zu erklären.«
Goddert setzte zu einer Antwort an, ließ stattdessen ein ersticktes Knurren hören und stürzte einen Becher Wein herunter.
»Und jetzt ein Zerschmetterter«, sagte Jaspar und sah nachdenklich in die Runde. »Was geht in ihm vor? Er stirbt, und er weiß es. Würde er seinen eigenen Tod mit den Worten ›Es ist falsch‹ kommentieren? Kein Mensch käme auf die Idee, Gott falschen Handelns zu bezichtigen, wenn es ihm gefällt, ihn zu sich zu rufen, und sei es durch die Hand eines Mörders.«
»Aber was ist dann falsch?« fragte Jacop verwirrt. »Wenn Gerhard nicht sich selber meinte, haben wir es vielleicht doch mit etwas Mystischem zu tun, wie Goddert sagte.«
Goddert nickte heftig.
»Nicht mystisch«, meinte Jaspar. Er stützte das lange Kinn in die Hände. »Petrus Abaelardus hat gesagt, die Sprache sei nicht der Schleier des Wirklichen, sondern sein Ausdruck. Welche Wirklichkeit hat Gerhard also ausdrücken wollen? Anders gefragt, warum mußte er überhaupt sterben?«
»Vielleicht ein Rivale«, schlug Goddert zögernd vor. »Viele wären gerne Dombaumeister.«
»Es gibt da einen jungen Burschen namens Arnold«, sinnierte Jaspar. »Guter Steinmetz. Hm. Soweit ich weiß, liebäugelt das Domkapitel schon länger mit ihm.«
»Ich wollte auf gar keinen Fall das Domkapitel schändlicher Dinge bezichtigen«, beeilte sich Goddert hastig zu versichern. »Ich dachte nur –«
»Warum eigentlich nicht?«
Goddert starrte ihn mit offenem Munde an. Diesmal schien er tatsächlich erschüttert.
»Jaspar! Wie könnte auch nur der Schatten eines Verdachts auf die ehrwürdigen Domherren fallen! Immerhin verdanken wir ihnen die Entstehung des heiligen Werkes.«
»Meinst du den Dom? Der ist kein heiliges Werk.«
Goddert lief noch roter an.
»Warum sagst du das jetzt? Wie kannst du sowas sagen? Du bist ein Ziegenbock, der meckern will um jeden Preis.«
»Nein. Ich weiß nur zufällig, daß Konrad von Hochstaden den Grundstein ausgerechnet an die Stelle seines späteren Grabmals gelegt hat,
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