Todesdrang: Thriller (German Edition)
mit einer Schere die Ohren ab. Anschließend stach er dem Kaninchen mit Draht die Augen aus, übergoss es mit Haushaltsbenzin und sah dabei zu, wie es sich in seinem Todeskampf wand, während es bei lebendigem Leib verbrannte. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr auch den anderen Tieren. An verschiedenen Stellen im Wald stellte er Fallen auf, um so leichter für Nachschub zu sorgen. Mäuse, Eichhörnchen, Marder … Auf diese Weise gelang es ihm einige Jahre lang, den Drang zu kontrollieren. Aber auf Dauer waren die Tiere ein schwacher Ersatz. Er verspürte danach nicht dieselbe innere Befriedigung, wie er sie an dem Tag mit Fettsack erfahren hatte. Der hatte sich gewehrt, geschrien und um Gnade gewinselt, während sich die Tiere hilflos in ihr Schicksal ergaben. Außerdem empfand er keinerlei Hass gegenüber den Tieren, was sein Vergnügen erheblich schmälerte. Sie dienten einzig und allein dazu, den Drang für kurze Zeit zu besänftigen.
Zu seinem sechzehnten Geburtstag bekam er seinen ersten Computer geschenkt. Und sehr schnell fand er heraus, dass er besser als andere damit umgehen konnte. Noch im selben Jahr schrieb er sein erstes, einfaches Computerprogramm, und mit achtzehn war er bereits ein anerkanntes Mitglied der Hackerszene. In einschlägig bekannten Internetforen stieß er auf Gleichgesinnte, mit denen er sich austauschen konnte, um seine Fähigkeiten zu verbessern. Er verfolgte die Nachrichten, studierte die Schlagzeilen und entwickelte daraufhin eine eigene politische Ideologie, die ihm als Grundlage für seinen Hass diente. Er brach in fremde Datenbanken ein, verschaffte sich Zugriff auf Server und Netzwerke. Es war erstaunlich, was Menschen alles zu Daten verarbeiteten und wie einfach es war, an diese Daten zu gelangen. Die Welt war zu einem elektronischen Mikrokosmos mutiert, den er mit Lichtgeschwindigkeit durchpflügen konnte. Allein die Möglichkeiten, die ihm eine einfache Tastatur und ein schneller Internetanschluss boten, versetzten ihn in einen Rausch aus Glücksgefühlen. Es waren Werkzeuge uneingeschränkter Macht und Zerstörung. Dennoch war er so schlau, bei seinen Ausflügen in fremde Galaxien keine nennenswerten Schäden zu hinterlassen. Denn er fand sehr schnell heraus, dass er diese Daten effektiver für seine Vorhaben nutzen konnte. Sie waren das ideale Mittel, um andere Menschen zu manipulieren, sie gegeneinander auszuspielen. Und das auf einer nahezu anonymen Ebene, die ihm dennoch maximalen Spielraum bot. Es war seine Vorstellung von einem unterhaltsamen Computerspiel. Der ultimative Kick!
Peter Normann hatte inzwischen seinen Abschluss gemacht und war von der Bildfläche verschwunden. Doch das störte ihn nicht weiter, denn er hatte sich mittlerweile höhere Ziele gesetzt.
Zwei Monate, bevor er sein Abitur mit Bestnoten abschloss, fand man die Leiche Direktor Mahlbachs in der Garage seines Hauses. Mit einem Schlauch hatte er Abgase in das Innere seines Autos geleitet und sich durch eine Kohlenmonoxidvergiftung das Leben genommen. Den Grund dafür sahen die zuständigen Ermittlungsbeamten in jenen Vorfällen, die zu Mahlbachs rasantem gesellschaftlichen Abstieg geführt hatten. Acht Wochen zuvor war von der Schulbehörde ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet worden, das wenig später mit seinem Ausschluss aus dem Schulbetrieb endete. Trotz seiner Unschuldsbeteuerungen konnte einwandfrei nachgewiesen werden, dass Mahlbach über das Internet mit mehreren Schülerinnen Kontakt aufgenommen und ihnen eindeutige sexuelle Offerten gemacht hatte. Daraufhin nahm auch die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Mahlbach auf, wegen sexueller Belästigung Minderjähriger. Sein Ruf war ruiniert. Mahlbach verlor nicht nur seinen Job, sondern innerhalb kürzester Zeit auch sein gesamtes soziales Umfeld. Seine Frau reichte die Scheidung ein und beantragte das alleinige Sorgerecht für ihre Tochter. Er starb allein, mit dreiundvierzig Jahren und von der Welt geächtet. Als Schwächling, dem jegliche Stärke genommen worden war. Und bis zu seinem letzten vergifteten Atemzug hatte er nicht realisieren können, dass es jener Junge gewesen war, dem er das alles zu verdanken hatte: Das Böse war wieder hervorgebrochen, doch dieses Mal in einer ausgereifteren, heimtückischeren und skrupelloseren Variante. Die Metamorphose war beendet. Er war zum Virus im System geworden, zum unheilbaren Krebsgeschwür einer selbstsüchtigen Gesellschaft. Und sein Hunger nach Zerstörung war
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