Todesdrang: Thriller (German Edition)
schloss er den Kofferraum, fuhr den Wagen aus der Garage, stieg aus und ließ das Tor herunterfahren. Plötzlich hörte er eine Stimme.
»Hallo, Dirk.«
Erschrocken drehte er sich um und blickte in das zerknirschte Gesicht seines Nachbarn. Er trug wie immer seine dunkelblaue Franzosenmütze und rollte verlegen einen Zigarillo zwischen seinen Fingern hin und her.
»Ach du bist’s«, sagte Dirk und rang sich ein Lächeln ab. »Hast mir einen ganz schönen Schreck eingejagt.«
»Stimmt es, was die Leute erzählen?«
Dirk runzelte die Augenbrauen. »Was erzählen sie denn?«
»Dass deine Frau und dein Sohn verunglückt sind.« Niklas wirkte aufrichtig betroffen. »Ich wollte es erst nicht glauben, aber nachdem ich dich vorhin mit einem anderen Wagen habe kommen sehen … War das die Polizei, die gerade bei dir war?«
Dirks Gesichtszüge erschlafften, während sein Blick sich senkte.
»Dann ist es also wahr«, sagte Niklas. »Dirk«, setzte er an, »ich weiß nicht, was ich …«
»Schon gut«, unterbrach ihn Dirk. »Um weiteren Gerüchten zuvorzukommen: Mein Sohn ist tot, und meine Frau wird vielleicht nie wieder gehen können. So sind die Tatsachen. Und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
»Mein Gott«, sagte Niklas, der sich die Bestürzung über die Härte von Dirks Worten nicht anmerken ließ. »Hör zu, wenn wir dir irgendwie helfen können …«
»Danke, aber das wird nicht nötig sein.« Dirk öffnete die Wagentür. »Bitte entschuldige mich jetzt, ich habe wichtige Dinge zu erledigen.«
Er setzte sich ins Auto und fuhr davon. Im Rückspiegel sah er, wie Niklas traurig den Kopf schüttelte. Dann blickte er auf die Uhr. Noch gut eineinhalb Stunden, bis es dunkel wurde. Genügend Zeit, um einer Einladung nachzukommen.
Brunners Haus befand sich am östlichen Ende der Ortschaft. Ein zweistöckiges Einfamilienhaus: weiße Fassade, kleiner Vorgarten mit Jägerzaun, orangefarbene Dachziegel. Langsam fuhr Dirk daran vorbei und parkte den Wagen zwei Blocks entfernt. Dann ging er zu Fuß zurück zu dem Haus, wobei er sich immer wieder unauffällig umsah. Wenn das, was er in dem Haus vorzufinden glaubte, immer noch da war, würde er den Schutz der Dunkelheit abwarten müssen, um es von dort wegschaffen zu können. Fröstelnd schlug er den Kragen seines Mantels hoch, als ihm der eisige Wind, der durch die menschenleere Straße wehte, den Nacken hochkroch.
Ungeduldig sah er auf die Uhr.
Ich warte eine Stunde auf Dich.
Wie lange war es her, dass er diese Nachricht gelesen hatte? Es kam ihm vor, als hätte er jegliches Zeitgefühl verloren. Er würde es sich nie verzeihen, wenn er diese Verabredung verpassen würde.
Vor dem Haus mit der Nummer 38 sah er sich abermals um. Nur wenige Autos standen in der Straße, und hinter den geschlossenen Gardinen der Nachbarhäuser war niemand zu sehen.
Dann hörte er einen Wagen die Straße herunterkommen. Instinktiv glitt seine Hand in die Tasche des Mantels und umfasste den Griff des Messers. Doch der dunkle Ford-Kombi mit getönten Heckscheiben fuhr ohne Verzögerung an ihm vorbei. Vom Fahrer konnte Dirk nichts erkennen. Erst als der Wagen die Kreuzung erreicht hatte, verlangsamte er sein Tempo und bog schließlich auf die Hauptstraße in Richtung Ortskern ein.
Dirk atmete auf. Werd bloß nicht paranoid , dachte er und rieb sich frierend die Hände.
Er drehte sich um und betrachtete den Eingang. Alles in ihm sträubte sich dagegen, dieses Haus zu betreten, und einen kurzen Moment lang wollte er einfach davonlaufen. Dann dachte er daran, was für ihn auf dem Spiel stand, dachte an Anke und Kevin, und gab sich einen Ruck. Entschlossen trat er vor die Tür und drückte den Klingelknopf. Nichts.
Er versuchte es ein weiteres Mal, ohne Erfolg. Dann griff er in die Tasche seiner Anzughose und zog den Schlüssel hervor, den er in Kuhns Mund gefunden hatte.
Ich hoffe, du hältst dein Versprechen, du krankes Arschloch!
Der Schlüssel passte. Als er ihn vorsichtig drehte, begann Dirks Herz schneller zu schlagen.
»Verdammt!«, schrie er und schlug auf das Lenkrad ein. Nach der nächsten Abzweigung brachte er den Kombi am Straßenrand zum Stehen.
Er hat dich gesehen, dachte er. Er hat dich verdammt noch mal gesehen!
Erneut schlug seine Hand auf das Lenkrad, bis sie fast taub war. Vielleicht hatte er sich dieses Mal übernommen, war nachlässig geworden. Die Sache schien zusehends aus dem Ruder zu laufen. Dabei waren seine Pläne exakt konzipiert, wie Programme, die logischen
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