Todesfahrt: Thriller (German Edition)
dich finde.«
»Danke! Aber vergiss unterwegs nicht, die Gaspatrone wieder abzubauen. Nicht dass einer der Kerle sich fragt, warum sein Kumpel so schläfrig geworden ist, und der Sache auf den Grund geht.«
»Klar!«, versprach Henriette und sauste los.
Als sie nach etwa zehn Minuten in ihr Versteck zurückkehrte, saß Petra vor ihrem Laptop und gab die ersten Daten ein. »Mehr können wir heute nicht unternehmen«, sagte sie zu Henriette, ohne ein einziges Mal aufzuschauen. »Du solltest ein wenig schlafen. Ich wecke dich, wenn ich mit dem mir vorgenommenen Pensum fertig bin.«
»Okay!« Zwar war Henriette nicht danach, sich so einfach hinzulegen, doch da sie Petra nicht bei der Arbeit stören wollte, rollte sie sich in der oberen Koje zusammen. Zuerst wirbelten ihre Gedanken noch, aber schon nahm sie sich Torsten Renks Aussage zu Herzen, dass man in ihrem Job zusehen müsse, dass man genug Schlaf bekäme. Daher versuchte sie, sich zu entspannen, und schlief schließlich tatsächlich ein.
ACHT
A
m Morgen nach Petras und Henriettes Aktion zwangen Hunger und Durst Evelyne Wide, ihre Kabine zu verlassen und die Essensausgabe aufzusuchen. Dort hatte in den drei ersten Tagen ihrer Entführung reges Treiben geherrscht, aber an diesem Vormittag standen nur wenige Leute an. Hauptsächlich Männer, die eingeschüchtert von dem martialischen Auftreten der Piraten waren und zitternd um etwas zu essen baten. Sie wirkten erschöpft und rochen nach Schweiß. Dennoch zählten sie gewissermaßen zu den privilegierten Geiseln, die bislang in ihren Kabinen hatten bleiben dürfen. Die Mannschaft und ein Teil der anderen Passagiere waren in Salons und Lagerräumen eingepfercht worden.
Evelyne gehörte ebenfalls zu jenen, die nicht aus ihren Kabinen herausgeholt worden waren, aber sie rechnete jeden Augenblick damit, anderswo eingesperrt zu werden. Die Atmosphäre an Bord hatte sich verändert, seit die Lady vor Anker lag. Weitere Piraten waren an Bord gekommen und dachten sich neue Schikanen aus, um die Geiseln zu demütigen. Verzweifelt fragte sie sich, welcher Hass diese Männer antrieb. Keiner der Menschen, die in ihre Gewalt geraten waren, hatte ihnen oder ihrem Land je etwas getan.
Ein rüder Kolbenstoß beendete Evelynes Gedankengang, und sie stolperte weiter. Vor ihr bat ein verzweifelter Mann um Milch für das Kind, das er auf dem Arm trug. Es wirkte apathisch, und seine Augen glänzten im Fieber.
Evelyne bedauerte, dass der Sender ihr verboten hatte, noch einmal live auf Sendung zu gehen. Zwar konnte sie ihre Eindrücke an die Fernsehanstalt weitergeben, doch diese wurden zuerst von Experten der Geheimdienste gesichtet, die nur das freigaben, was sie für unverfänglich hielten. Informationen über Erschießungen, Vergewaltigungen und todkranke Kinder gehörten nicht dazu, da die deutsche Regierung die Entführer der Lady of the Sea nicht durch Nachrichten dieser Art gegen sich aufbringen wollte.
Die Reporterin schrak hoch, als ein Pirat dem Familienvater eine Flasche Mineralwasser hinwarf, zusammen mit einem Viertel Brotlaib und einer Konservendose, die geschälte Tomaten enthielt.
»Ist genug!«, schnauzte er den Mann an.
»Wir brauchen mehr«, flehte der verzweifelte Vater. »Wir sind zu viert, meine Frau, ich und noch ein Kind. Die Kleine hier muss dringend Milch bekommen. Sie ist krank.«
»Schreib an deutsche Regierung, dass sie dir schickt Milch«, antwortete der Pirat und versetzte ihm einen Stoß. Der Passagier stolperte zwei Schritte und fiel dann samt Kleinkind hin.
Während ein paar Entführer lachten, sah Evelyne, dass andere angewidert das Gesicht verzogen. Ein älterer Somali nahm rasch einen Tetrapak Milch an sich und verließ die Küche durch eine andere Tür.
Als der gestürzte Passagier sich wieder aufrappelte und mit hängendem Kopf davonschlich, traf er beim nächsten Quergang auf den Somali, der ihm wortlos die Milchpackung in die Hand drückte und so schnell verschwand, als löse er sich in Luft auf.
Inzwischen war Evelyne an der Reihe. Bisher hatte man ihr die Ration immer so hingestellt, dass sie sie hatte wegnehmen können. Nun aber sah der Mann an der Ausgabe sie mit höhnischer Miene an. Er war hellhäutiger als ein Somali und hatte einen langen, dunklen Bart. Der Farbe seiner Augen nach hielt Evelyne ihn für einen Europäer. Möglicherweise war er sogar ein Deutscher. Obwohl der Kerl sich bemühte, gebrochen zu reden, kamen die einzelnen Worte zu flüssig und vor allem in
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