Todesflut: Thriller
hatten sich abgeknutscht, bevor das Schiff ausfuhr.
»Ich kann dich hören, Seabiscuit. Ich habe eben aus dem Fenster gesehen. Das Wasser weicht zurück.«
»Tasha, das ist ein Tsunami. Bring dich in Sicherheit!«
»O mein Gott! Was soll ich tun?«
»Geh zum höchsten Punkt.«
»Und ihr?«
»Hier ist alles okay. Wir sind im tiefen Wasser. Tsunamis werden nur in flachem Wasser hoch.«
Wieder war die panische Stimme Tashas zu hören. »Wo soll ich hin?«
Sie hatte recht. Der höchste Punkt der Insel lag zwanzig Meter über dem Meeresspiegel, es gab nur wenige zweistöckige Gebäude, und keines befand sich in der Nähe der Tauchschule.
»Steig auf einen Baum!«
»Zu spät!«, kam es von Harold.
Gina schrie auf: »Da!«
Weit schneller, als es sich zurückgezogen hatte, raste das Wasser wieder auf den Strand zu. Die kleinen Gestalten, die Harold durch sein Fernglas gesehen hatte, rannten zurück zur Insel. Einige wurden schon ein Opfer der Welle, bevor sie die Bäume erreicht hatten.
Doch der Anblick des Wassers zwischen ihnen und der Insel wurde noch entsetzlicher. Es stieg, bis es höher als der höchste Baum war. Harold wusste, es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis die Mammutwelle die ganze Insel überflutete.
Aus dem Funkgerät drang nur noch ein Zischen.
Fassungslos schüttelte Harold Kopf und sagte mit weit aufgerissenen Augen: »Wir wären wohl doch besser nach Hawaii gefahren.«
8. Kapitel
9:31
Das Pacific Tsunami Warning Center war klein. Der Rundgang der japanischen Schüler war entsprechend schnell beendet. Kai brachte sie ins Konferenzzimmer, wo sie sich setzen konnten. Die Sechstklässler hatten ruhig zugehört, und die Lehrerin hatte gedolmetscht. Kai, dessen Vorfahren väterlicherseits aus Japan kamen, konnte allenfalls Sushi bestellen, und sein Italienisch, die Sprache seiner mütterlichen Vorfahren, reichte nur dazu, ein Nudelgericht zu ordern.
Japan war schon immer Tsunamis ausgesetzt gewesen, und die Videos aus Indonesien, Sri Lanka und Thailand hatten die Schüler noch neugieriger gemacht. Kai erzählte ihnen Geschichten von Tsunamis, die Hawaii heimgesucht hatten.
»Habt ihr von dem Tsunami gehört, der 1946 Hilo zerstört hat?«
Einige Kinder nickten. Kai begann seine Ausführungen immer mit der Gründung des Centers. Am 1. April 1946 war es auf der Inselkette der Aleuten im Nordpazifik zu einem Erdbeben der Stärke 8,1 auf der Richterskala gekommen. Niemand auf Hawaii, mit Ausnahme einiger Seismologen, wusste davon. Fünf Stunden später traf die erste Wellenserie auf die Nordküste von Big Island. Hilo war die einzige größere Stadt in Richtung Nordosten. Selbst als bekannt wurde, dass ein Tsunami die Küste zerstört habe, hielten viele die Nachricht für einen Aprilscherz. Aber es war kein Scherz gewesen. Hundertfünfzig Menschen waren an jenem Tag umgekommen.
Als Nächstes erklärte Kai seinen jungen Besuchern, es sei ein großer Irrtum, wenn man davon ausgehe, ein Tsunami bestehe nur aus einer einzigen Welle. Meistens bildeten sich mehrere Wellen, weil das infolge des Erdbebens deplatzierte Wasser auf und ab schwappe. Die dritte oder vierte Welle sei in der Regel die größte. Die Wellenkämme würden von Tälern abgelöst, die so tief seien wie die Wellen hoch. Deshalb ziehe sich das Wasser vor jeder Welle erst einmal von den Stränden zurück. Die Energie der Wellen erstrecke sich bis auf den Grund des Ozeans. Dieses Phänomen sei für die langen Zeitabstände zwischen den Wellen verantwortlich. Viele Leute wüssten nicht, wie ein Tsunami verläuft, und begäben sich deshalb unnötig in Gefahr.
»In der Stadt Laupahoehoe im Nordwesten von Hilo gab es eine Schule«, fuhr er fort. »Die Kinder dort waren etwa in eurem Alter. Sie sahen den Tsunami.« Die Schüler holten tief Luft. »Ich kann euch ein paar Bilder davon zeigen.«
Kai knipste den Projektor des Konferenzzimmers an, der mit seinem Laptop verbunden war. Auf dem ersten Foto war das Schulhaus vor dem Tsunami zu sehen. Es lag etwa dreißig Meter vom Ufer, an einem schönen Strand, dessen Palmen sich im Wind wiegten. Mehrere kleine Häuser standen in seiner Nähe.
»Hier gingen die Kinder zur Schule. Stellt euch vor, ihr könntet in der Pause an den Strand gehen!« Beifälliges Murmeln war zu hören. »Als die zweite Welle eintraf, das war gegen neun, waren die Kinder bereits im Unterricht. Die erste kleine Welle hatten sie nicht bemerkt. Einige sahen, wie das Wasser zurückwich, und alle sprangen auf und
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