Todesflut: Thriller
sie den zweiten Tsunami und sah die weiße Schaumlinie in der Bucht. Jäh überkam sie die Erkenntnis, dass sie Bill selbst hochziehen musste, zum Suchen eines Schlauchs blieb keine Zeit mehr.
Sie rannte zurück. Auch Bill hatte den Tsunami bereits gesehen.
»Hast du etwas gefunden?«
»Dafür reichte die Zeit nicht. Ich klettere jetzt auf diesen Pfeiler über dir, und du reichst mir die Hand.« Sie machte sich daran, über die Kante zu steigen.
»Nein!«, schrie Bill. »Die Trümmer halten kein zusätzliches Gewicht mehr aus. Wir stürzen beide ab!«
»Was sollen wir dann tun?«
Das Brüllen der Welle wurde lauter. Bill sah seine Frau traurig und liebevoll an.
»Geh!«
»Nein!« Paige schluchzte auf. »Das mache ich nicht!«
»Paige, du musst Ashley in Sicherheit bringen. Die Kinder brauchen dich.«
»Nein! Nein! Du kommst mit!«
»Paige, ich lasse nicht zu, dass du dich umbringst, weil du versuchen willst, mich zu retten. Geh!«
»Ich lasse dich nicht allein.«
Die Welle war keine dreihundert Meter mehr entfernt.
»Ich möchte unbedingt, dass du dich in Sicherheit bringst. Du kannst doch nichts dafür. Ich liebe dich!«
Mit diesen Worten ließ er los.
»Bill!«
Sein Sturz war kurz. Zerschmettert lag sein regungsloser Körper zwischen den Trümmern im Innenhof. Paige tat einen Schritt zurück. Hilflos vor Wut und Kummer lehnte sie sich schluchzend gegen die Wand.
Das gewaltige Tosen der näher kommenden Welle brachte sie wieder zu sich. Das Wasser würde gleich bei ihnen sein. Sie musste ihre Tochter in Sicherheit bringen, damit das Opfer ihres Mannes nicht umsonst war.
Unter Tränen nahm sie Ashley auf den Arm und hastete so schnell sie konnte die Treppe hinauf.
Wheeler Army Airfield lag in sicherer Entfernung vom Ort der Katastrophe, aber dank eines Fernsehers, der in dem überfüllten Büro aufgestellt worden war, hatte Reggie gewissermaßen einen Logenplatz. Er telefonierte gerade mit Frank Manetti, seinem Kollegen im Tsunami-Warnzentrum in Palmer, Alaska.
»Siehst du das?«, fragte er, gedankenverloren den hechelnden Bilbo tätschelnd. Der Hund lag gehorsam zu seinen Füßen und beobachtete den Trubel mit seinen wachen braunen Augen.
Im Fernsehen lief eine Reportage über die Ankunft der zweiten Welle, die von einem Helikopter aus gefilmt wurde. Die Fernsehstationen hatten sich nicht davon abhalten lassen, über die größte Naturkatastrophe aller Zeiten zu berichten, selbst wenn ihre Sendeanstalten dem Erdboden gleichgemacht worden waren. Sie hatten ihre Übertragungswagen in den Hügeln in Sicherheit gebracht, und alles lief nun von dort aus.
Als sein Kollege Manetti auf seine Frage nicht reagierte, hakte Reggie nach. »Frank, bist du noch dran?«
»Ja, aber ich kann es einfach nicht glauben, auch wenn ich es mit eigenen Augen sehe.«
»Glaub es. Irgendwo da drin steckt Kai.« Hoffe ich, dachte er. Die Nachricht des Piloten, der dort gewesen war, klang nicht ermutigend.
»Hast du ihn gefunden?«
»Noch nicht. Der Helikopter hat niemanden auf dem Dach angetroffen. Das Nachbargebäude war bei einer Explosion schwer zerstört worden. Vielleicht haben sie es ja geschafft, das Haus rechtzeitig zu verlassen und zu flüchten.«
»Hoffen wir’s. Es wartet allerdings ein noch größeres Problem auf sie.«
»Ich weiß«, sagte Reggie. »Der dritte Tsunami.«
»Den meine ich nicht.«
»Was könnte noch schlimmer sein als eine sechzig Meter hohe Welle?«
»Eine vierte Welle.«
»Eine vierte Welle!«, platzte Reggie heraus. »Bist du dir sicher?«
»Vor einer Minute ging bei uns die jüngste Messung der Boje ein. Die Größe der Welle sprengt jegliche Vorstellungskraft. Sie soll über neunzig Meter hoch sein.«
»Ach, du gütiger Gott!«
Während Reggie keuchend Luft holte, prallte die zweite Welle auf die Häuser am Ufer von Waikiki.
Kai schloss die Augen. Es dröhnte ihm in den Ohren, als das Meerwasser gegen die Hauswand schlug und in die Wohnung drang. Aus allen Richtungen überfiel sie die Flut, donnernd und mit einer ungeheuren Wucht.
Da sie sich in einem Gebäude befanden, strömte das Wasser nicht gleichmäßig an ihnen vorbei, sondern bildete starke Strudel. Sie wurden durchgewirbelt wie in der Trommel einer riesigen Waschmaschine. Schuhe und Kleidungsstücke wurden ihnen vom Körper gerissen.
Trümmerstücke prallten gegen Kai. Die meisten waren klein, aber eine scharfe Glasscherbe stach ihn in die Wange. Er hörte es krachen, als etwas Großes über seinem Kopf gegen die
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