Todesgott
Gruppe.
»Wir warten auf ein Statement«, sagt der Reporter des
Morgenboten
und schaut auf die Uhr. »Es ist höchste Zeit. Ich muss die Deadline schaffen.«
»Was ist denn schon bekannt?«
»Nur, dass letzte Nacht auf dem Schrottplatz eine Leiche gefunden wurde«, antwortet er. »Sonst nichts.«
Ich schaue mich um und sehe, wie ein schicker weißer, glänzender Citroën sich zu der Autoschar vor dem Tor gesellt. Heraus steigt Aðalheiður Heimisdóttir, Chefredakteurin der
Akureyri-Post
, in engen Jeans und einer frühlingshaften, weißen Samtjacke. Sie lächelt mir freundlich zu.
»Hi, danke noch mal für den schönen Abend.«
»Danke gleichfalls«, sage ich und halte nach Jóa Ausschau.
Sie fotografiert immer noch, dreht sich jetzt aber um. Aðalheiður und Jóa nicken einander höflich zu.
Die Redakteurin der Lokalzeitung tritt zu ihr und holt eine kleine Digitalkamera aus ihrer Jackentasche. Während sie fotografiert, sagt sie leise und unauffällig etwas zu Jóa.
Wir warten und warten und versuchen, uns die Zeit mit Smalltalk zu vertreiben. Nach zwanzig Minuten kommt ein stattlicher Mann mit scharfen Gesichtszügen, rasiertem Schädel und einer großen Brille mit schwarzem Rahmen direkt auf uns zu.
Hauptkommissar Ólafur Gísli Kristjánsson trägt Uniform und macht einen offiziellen Eindruck, als er sich unter das gelbe Band duckt und sich in die Mitte der Journalistengruppe stellt.
»Guten Tag«, sagt er und lässt seinen Blick über die Gruppe schweifen. Er tut so, als würde er mich nicht erkennen. »Ich kann euch leider nicht viel sagen. Nicht zum jetzigen Stand der Ermittlungen …«
Schon wieder der »jetzige Stand«, denke ich. Was würde die Polizei bloß ohne den »jetzigen Stand« machen?
»… also, hier auf dem Gelände der Alteisenannahme und -verarbeitung der Müllentsorgung Eyjafjord …«
Immerhin ein imposanter Firmenname.
»… wurde heute früh eine Leiche gefunden. Ein Suchtrupp der Polizei und des Rettungsdienstes hat sie um 5:30 Uhr entdeckt. Der Nachtwächter hat bei seinem Kontrollgang Rauch auf den Hügeln bemerkt. Das ist mitten in der Nacht am Osterwochenende ungewöhnlich; aus diesem Grund hat er uns informiert.«
Ólafur Gísli verstummt und scheint dem nichts hinzufügen zu wollen.
»Ist es eine männliche Leiche?«, fragt der Nachrichtenmann vom Rundfunk, der im Mittagsecho live auf Sendung ist.
Ólafur Gísli zögert. »Darauf deutet einiges hin, aber für eine Bestätigung ist es noch zu früh.«
»Die Leiche ist also stark entstellt?«, frage ich.
»Ich möchte die Frage zum jetzigen Stand der Ermittlungen noch nicht beantworten.«
»Ist sie nicht identifizierbar?«, insistiere ich.
»Selbe Antwort«, sagt er und setzt seinen fiesen Blick auf.
»Kann man, da ja Rauch von den Hügeln aufgestiegen ist«, fahre ich fort, »möglicherweise davon ausgehen, dass der Mann angezündet wurde?«
»Diese Frage ist zum jetzigen Stand der Ermittlungen unangebracht. Erst muss festgestellt werden, wer der Tote ist, und anschließend müssen die Angehörigen informiert werden. Bevor dies geschehen ist, werden solche Fragen nicht beantwortet.«
»Es ist immer noch ein wenig Rauch über dem Autoreifenstapel da drüben zu sehen«, sage ich und zeige durch den Lattenzaun. »Lässt sich also nicht zumindest konstatieren, dass die Reifen angezündet wurden?«
»Ja, das lässt sich konstatieren.«
»Wäre es denn vorschnell, die Schlussfolgerung zu ziehen«, fragt der Reporter des
Morgenboten
, »dass es sich um die Leiche des Schülers Skarphéðinn Valgarðsson handelt?«
»Ja, es wäre vorschnell, diese Schlussfolgerung zu ziehen«, antwortet der Hauptkommissar, »zum jetzigen Stand der Ermittlungen.«
»Aber er wurde noch nicht gefunden?«
»Nein, er wurde nicht gefunden.«
»Aber der Suchtrupp, der die Leiche entdeckt hat, hat doch nach ihm gesucht«, sagt die
Gratiszeitung.
»Ja, aber das heißt nicht, dass es sich um seine Leiche handelt.«
»Wurden in Akureyri und Umgebung in den letzten Stunden oder Tagen noch weitere Personen vermisst gemeldet?«, frage ich.
»Nein«, sagt Ólafur Gísli. »Bei der Polizei wurde niemand vermisst gemeldet, und uns ist auch sonst nichts Derartiges bekannt.«
Die Journalistengruppe wird unruhig.
»Zum jetzigen Stand der Ermittlungen habe ich keine weiteren Informationen«, sagt Ólafur Gísli. »Vielen Dank.«
»Wann sind weitere Informationen zu erwarten?«, fragt der Radioreporter, der jetzt nicht mehr auf Sendung
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