Todesgott
wird sie blass. »Diese Frau …«
Ásbjörn erhebt sich wankend.
»Das ist diese Frau«, sagt Karólína.
»Welche Frau?«, fragt ihr Mann.
»Das ist die Frau, die mich oben bei der Kirche nach dem Weg gefragt hat, während Snúlli über den Hügel gelaufen ist. Bevor er verschwand.«
Ásbjörn und ich werfen uns einen Blick zu.
»Ásbjörn Grímsson«, sagt Karólína, die jetzt genauso stark zittert wie er, »wer ist diese Frau?«
Bevor Ásbjörn ihre Frage beantworten kann, ziehe ich mich sicherheitshalber zurück.
Während ich durch die menschenleere Fußgängerzone zum Restaurant Bautinn an der Ecke Kaupvangsstræti spaziere, denke ich über die nächsten Schritte nach. Es ist, als führten mehrere Wege in verschiedene Richtungen und keiner wüsste, wo es langgeht. Die Nachforschungen von mir und anderen zum Tod Skarphéðinn Valgarðssons scheinen überhaupt nicht vorwärtszukommen. Und was ist mit dem Tod von Ásdís Björk Guðmundsdóttir?
Ich setze mich ins Bautinn und lasse mir Kaffee und ein Telefonbuch bringen. Nachdem ich die Süßwarenfabrik Nammi nachgeschlagen und deren Nummer notiert habe, zünde ich mir eine Zigarette an. Umgehend werde ich darauf hingewiesen, dass hier Rauchverbot sei. Ich trinke meinen Kaffee aus und haue ab. Ich fühle mich wie aus meinem eigenen Alltag verstoßen. Als ich an der Ecke stehe, überfällt mich ein unkontrollierbares Verlangen, wieder dazugehören zu wollen. Es ist so übermächtig, dass ich die verdammte Zigarettenschachtel zusammenknülle und in den nächsten Abfalleimer schmeiße.
Beim Telefonieren lehne ich mich an die Steinmauer beim Hotel KEA auf der anderen Straßenseite. Ich frage nach Ragna Ármannsdóttir und werde mit ihr verbunden.
»Hallo und danke noch mal für den Besuch«, sagt sie herzlich.
»Ich wollte dich noch etwas über diesen Adventuretrip fragen. Du hast mir doch erzählt, Ásdís Björk habe sich in der letzten Zeit zurückgezogen – war ihre Teilnahme an einem solchen Betriebsausflug da nicht eher ungewöhnlich?«
»Doch. Ich kann mich nicht dran erinnern, sie in den letzten drei Jahren bei einer solchen Gelegenheit gesehen zu haben.«
»Und was hattest du für einen Eindruck von ihr? War sie wie immer?«
»Jedenfalls nicht so wie früher, als sie noch lebenslustig und gesellig war. Im Laufe der Zeit hat sie sich in einen zurückgezogenen, schweigsamen Menschen verwandelt.«
»Kam sie dir irgendwie betrunken vor?«
»Schwer zu sagen. Wir waren im selben Auto, aber sie saß hinten neben Geiri. Sie hat eine Sonnenbrille getragen und fast nichts gesagt.«
»Und hat sie an diesem Klippen- oder Wassersprung oder was auch immer das war teilgenommen?«
»Nein, aber sie ist aus dem Wagen gestiegen und hat zugeschaut. Ich hatte den Eindruck, dass sie sich nur sehr langsam und mühselig bewegte. Ich hab das auf irgendeine Erkrankung zurückgeführt. Aber an der Wildwasserfahrt hat sie teilgenommen. Das war so überraschend, dass wir alle geklatscht haben. Und Geiri hat sie geküsst und …«
Sie verstummt. Ihre Gedanken scheinen abzuschweifen. Ich taste in meiner Jackentasche nach dem Zigarettenpäckchen.
»Entschuldige«, sage ich, während ich ins Leere greife. »Ich hätte dich nicht darum bitten sollen, das Ganze noch mal aufzurollen.«
Sie hat sich wieder gefasst. »Ist schon in Ordnung. Es ist nun mal geschehen. Daran lässt sich nichts mehr ändern.«
»Hattest du den Eindruck, dass Ásgeir sie dazu gedrängt hat, mitzufahren?«, wage ich zu fragen.
»Das weiß ich nicht. Sie saßen hinten im Wagen und haben miteinander geredet, bevor sie ausstiegen. Mehr weiß ich nicht.«
»Ähm«, murmelte ich, während ich wieder über die Hafnarstræti zum Abfalleimer zockele. »Ist Ásgeir heute da?«
»Ja, ist er. Möchtest du mit ihm sprechen?«
Ich greife in den Abfalleimer. »Hm, ich weiß nicht.«
»Dann verbinde ich dich lieber wieder mit der Zentrale. Es wäre nicht so gut, wenn ich dich direkt zu ihm durchstellen würde. Ich möchte nicht, dass er weiß, dass …«
Diese Mistschachtel liegt ganz schön weit unten. »Nein, verstehe. Ich rufe lieber noch mal an. Vielleicht ein bisschen später.«
Dann bedanke ich mich bei ihr und gebe die Suche nach der Schachtel Zigaretten im Abfalleimer auf. Sobald ich meine Hand wieder herausgezogen habe, wird mir ein Hundertkronenschein hineingelegt. Eine gutgekleidete ältere Dame lächelt mir im Vorübergehen zu. Ihr Gesichtsausdruck ist mitleidig und aufmunternd
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