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Todesgott

Todesgott

Titel: Todesgott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Árni Thórarinsson
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zugleich.
    »Nein, halt, das ist nicht nötig«, rufe ich ihr hinterher.
    Es ist zu spät. Sie hebt zum Abschied die behandschuhte Hand, dreht sich aber nicht mehr um.
    Ich gehe zum nächsten Kiosk, um mir eine neue Schachtel zu kaufen; schließlich habe ich niemandem versprochen, perfekt zu sein.
     
    Die Süßwarenfabrik Nammi befindet sich in einem Industriegebiet nördlich der Glerárgata – ein weißgestrichenes, unauffälliges, zweistöckiges Gebäude in der nichtssagenden Stillosigkeit, wie sie für Island typisch geworden ist. Wir bauen schnell. Wir bauen billig. Und profitieren im Handumdrehen.
    Ich sitze im Auto auf dem Parkplatz, rauche mit schlechtem Gewissen und zähle die Minuten, bis die Uhr halb vier zeigt. Ásgeir Eyvindarson hat mich damit überrumpelt, mir seine Kaffeepause zur Verfügung zu stellen.
    Allerdings war das Ganze nicht so leicht. Ich hatte seinen Sohn, den Volkswirt Guðmundur Ásgeirsson, angerufen und ihn davon überzeugt, dass es nie unsere Absicht gewesen sei, den Unfalltod seiner Mutter in unserer Zeitung breitzutreten. Indes hätten meine Recherchen unser Interesse an Hypochondrie geweckt. Dies sei hierzulande eine wenig bekannte Krankheit, und ich beabsichtigte, Informationen darüber zu sammeln. Die Frage sei, ob er und/oder sein Vater bereit wären, über ihre Erfahrungen als Angehörige einer an Hypochondrie Erkrankten zu sprechen, damit die Allgemeinheit sich ein Bild über diese Krankheit machen könne. Er versprach, mit seinem Vater zu reden. Kurz darauf rief er zurück und teilte mir mit, Ásgeir sei bereit, sich in einer halben Stunde mit mir zu treffen.
    Die Büros von Nammi befinden sich in der ersten Etage des Gebäudes, während die Fabrik im Erdgeschoss liegt. Durch den Eingangsbereich und das Treppenhaus wabert ein klebrig süßer, verführerischer Schokoladengeruch. Beim Betreten des Empfangs erblicke ich hinter dem langen Tresen ein Sortiment ausgestellter Produkte: Schokoladentafeln und Schokoladenkekse, Kokoskugeln und Schokoriegel, Bonbonpackungen, Lakritz und Gummibärchen in allen Regenbogenfarben. Der Empfang ist leer, und in den drei Büros, deren Türen offen stehen, scheint ebenfalls niemand zu sein.
    Ich klopfe auf den Tresen. »Hallo! Hier ist Einar!«
    »Komm rein! Ich bin im letzten Zimmer«, tönt es aus einem Büro irgendwo hinter dem Empfangstresen.
    Ich folge dem Rufen. Im östlichen Flügel des Hauses befindet sich ein helles, großes Büro mit Ausblick auf den Fjord und die Berge. Ásgeir Eyvindarson setzt seine eckige, goldgerahmte Brille ab, erhebt sich von seinem mit Unterlagen beladenen Mahagonischreibtisch und bietet mir einen Platz auf dem wuchtigen Mahagonisofa an, dessen beiger Bezug farblich genau auf die Gardinen abgestimmt ist. An der dunklen, holzgetäfelten Wand hängen Gemälde. Tryggvi Ólafsson. Tolli. Helgi Þorgils. Glaube ich zumindest, soweit meine Kenntnisse auf diesem Gebiet es zulassen.
    »Entschuldige bitte«, sagt er und zeigt in Richtung Empfang. »Sind alle in der Kaffeepause.«
    »Keine Ursache.« Ich schenke ihm mein lieblichstes Lächeln, setze mich und versinke in dem weichen Sofa. »Ich bin sehr dankbar, dass du mir deine Kaffeepause zur Verfügung stellst.«
    Ásgeir setzt sich mir gegenüber in einen der Sessel und schaut mich forschend an. Ein stattlicher Mann mittleren Alters, in schwarzer Hose mit Bügelfalte und frisch geplättetem, hellblauem Hemd mit karminroter Krawatte. Er ist sehr groß, gutaussehend, ein klein bisschen füllig um die Mitte, hat kantige Gesichtszüge, eine spitze Nase und einen grauen Oberlippenbart. Sein Haar ist graumeliert und wellenförmig über die nahezu faltenlose Stirn gekämmt; am Hinterkopf lichtet es sich, was man nur sieht, wenn er sich vorbeugt. Ein vertrauenerweckender Mann mit solidem Hintergrund?
    »Kein Problem«, sagt er und schiebt mir eine gutgefüllte Schale mit Süßigkeiten zu. »Ich habe letztens vielleicht ein bisschen zu impulsiv reagiert, entschuldige bitte.«
    »Keine Ursache«, sage ich wieder, nehme mir einen Schokokeks und denke: Was für ein ungemein höfliches Gespräch. Wirklich kultiviert, macht uns beiden alle Ehre.
    »Ich hoffe, du verstehst, dass Leute, die so schlimme Erfahrungen durchgemacht haben wie wir in unserer Familie, empfindlich reagieren, besonders, wenn es um die Medien geht.«
    »Das verstehe ich sehr gut. Es war nicht unsere Absicht, euch noch mehr zuzusetzen. Ich bekam nun mal diesen Anruf von Gunnhildur, und …«
    Er schneidet

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