Todeshunger
ich sie sonst bekommen?«
»Dann mach wenigstens das Fenster auf. Ich will auf keinen Fall die ganze Nacht deinen Qualm einatmen.«
»Dann halt eben die Luft an«, murrt sie, kurbelt aber verdrossen das Fenster herunter. Die kühle, relativ frische Luft, die in die Kabine strömt, ist angenehm; ich atme sie in vollen Zügen ein.
Ich betrachte die drei Leute, mit denen ich heute Nacht unterwegs bin, und kann nicht anders, als eine gewisse Besorgnis zu verspüren. Noch habe ich keinen von ihnen im Einsatz gesehen, mache mir jedoch keine übertriebenen Hoffnungen. Keith sieht aus, als würde er sich in einem Schrebergarten besser aufgehoben fühlen als auf dem Schlachtfeld. Carol scheint ständig wütend zu sein. Sie hat Glupschaugen und kurzes, dunkles Haar, das sie offensichtlich einmal gefärbt hatte (die Farbe ist rausgewachsen, wie man an der kupferroten Linie erkennen kann). Sie hat lange Nägel, die vermutlich einmal manikürt und lackiert gewesen sind, jetzt aber mehr wie Klauen oder Krallen aussehen. Sie erinnert mich an eine Frau,
mit der ich einmal zusammengearbeitet habe – eine verbitterte, alkoholabhängige ehemalige Gastwirtin. Sie hat die typisch rote Hautfarbe einer Trinkerin und sieht aus, als wäre sie am glücklichsten an einer Bar, entweder davor oder dahinter. Paul sieht dagegen wenigstens aus, als wäre er zu einem Kampf bereit. Er ist ein arroganter Wichser. Seit wir aufgebrochen sind, hat er mir schon zigmal erklärt, was für ein toller Kämpfer er ist und dass er sich gar nicht mehr erinnern kann, wie viele hundert Leute er schon getötet hat. Ich durchschaue ihn. Die Prahlerei und das aggressive Gerede sollen nur seine Unsicherheit kaschieren. Er quält sich genauso wie wir anderen auch.
Alles in allem also kein besonders tolles Team. Dennoch, wenn sie mir dabei helfen können, Ellis zu finden, werde ich sie ertragen.
»Gib uns einen Tipp, Mann«, sagt Keith und sieht mich über die Schulter hinweg an. Ich beuge mich vor, damit ich besser erkennen kann, wo wir uns befinden. Der Transporter schlingert und ruckelt von einer Seite auf die andere, während wir eine breite, von Trümmern übersäte Straße entlangfahren, und von meiner Position aus kann man kaum etwas erkennen. Die Tatsache, dass Keith ohne Lichter fährt, verbessert die Gesamtsituation auch nicht gerade, doch als der unheilvolle schwarze Umriss eines feindlichen Helikopters mit blinkenden Hecklichtern unmittelbar vor uns am Abendhimmel auftaucht, bin ich froh, dass wir getarnt sind.
Vor uns sehe ich ein Straßenschild. Keith bringt den Wagen zum Stillstand, dann betrachten wir es alle vier und versuchen, die Ortsnamen und Richtungsangaben zu entziffern. Der größte Teil des Schilds ist mit einer Schicht von grünbraunem Dreck und Moos bedeckt.
»Das ist Chapman Hill, oder?«, fragt Paul.
Ich blicke vor und zurück und versuche, mich zu orientieren. Er hat recht. Mein letztes Auto habe ich bei einem Händler hier in der Nähe gekauft, erkenne die Umgebung jedoch kaum wieder. Aber jetzt, da ich ungefähr weiß, wo wir sind, fügt sich langsam alles zusammen, und die Straßen und Häuser kommen mir vage vertraut vor. Es ist bizarr – alles sieht im Wesentlichen gleich aus und doch seltsam verändert. Die Wahrzeichen und Gegebenheiten, die ich kannte, sind größtenteils noch da, doch alles scheint unauslöschlich vom Krieg gezeichnet zu sein. Eine lange Zeile einst blühender Geschäfte ist inzwischen eine verfallene, rußgeschwärzte Ruine, die von einem Brand fast völlig zerstört wurde. Das Vordach des Autohändlers ist eingestürzt und hat die wenigen staubigen Autos, die weder verkauft noch gestohlen wurden, einfach plattgedrückt. Neben dem Autohändler ist das Bürohochhaus gerade noch halb so hoch wie vor dem Krieg. Im trüben Licht sieht es aus, als wäre jede Straße, jeder Bürgersteig von einer Schicht aus Staub und Schutt bedeckt. Lediglich die Toten kann man mühelos inmitten des Chaos erkennen. Unmittelbar vor uns ragt eine Skeletthand aus einem Haufen in sich zusammengestürzter Mauern hervor, als wollte ihr toter Besitzer uns eine Frage stellen oder per Anhalter mitfahren.
»Tja«, sagt Keith ungeduldig, »willst du einfach nur die Sehenswürdigkeiten bestaunen, oder sagst du mir, wohin ich fahren soll?«
»Entschuldige«, antworte ich hastig und zwinge mich, aus der Trance zu erwachen. »Fahr noch eine Meile geradeaus und dann rechts. Ich sage dir, wenn wir uns nähern.«
Keith will gerade wieder
Weitere Kostenlose Bücher