Todesküsse
geschminkt. Und das mußte sie schließlich. Ihr Gesicht besaß eine leicht braune Tönung, die Lippen stachen deutlich ab, der Lack glänzte wie glasierte Kohle so schwarz, und die Augen besaßen die gleiche Farbe.
Um sie besser erkennen zu können, hatte ich mich näher an die Verkaufstheke herangeschoben und dabei den seitlichen Weg eingeschlagen. Ich würde ihr nicht so schnell auffallen, weil ich zudem eine der wenigen männlichen Personen war, die sich in der Nähe aufhielten.
Sie pries ihre Produkte mit markigen, werbewirksamen Worten an. Dabei ließ sie nichts aus, sprach die Eitelkeit der Frauen an, die ihrem Mann auch dann noch gefallen wollten, wenn sie zehn und mehr Jahre verheiratet waren.
Dazu genügte es nicht, nur den Lippenstift zu kaufen. Auf ihn abgestimmt waren auch die übrigen Produkte der Firma, wie Wimperntusche und zahlreiche Cremes für die verschiedenen Hauttypen.
Rowena de Largo schaffte es tatsächlich, die Produkte an die Frau zu bringen. Die meisten Kundinnen griffen zu den Lippenstiften. Sie waren im Vergleich zu den anderen Produkten preiswert, obwohl ich den Preis auch als überhöht ansah.
In einer Sprechpause schob ich mich noch näher. Rowena arbeitete geschickt. Sie gab mit dereinen Hand die Ware aus und kassierte gleichzeitig mit der anderen. So etwas ließ schon auf Routine schließen. Wenn ich mir vorstellte, daß all diese Lippenstifte ein dämonisches Gift enthielten, rieselte es mir kalt den Rücken hinab. Ich ließ mir Zeit. Noch hatte mich die Frau nicht entdeckt. Ich stand rechts von ihr, zudem im toten Winkel. Die Käuferinnen drängten sich vor, jede wollte ihr Geld so rasch wie möglich loswerden, andere schoben nach, der Kundenstrom war immens.
Irgendwann hat jeder Strom ein Ende. Auch dieser flaute ab. Rowena schaute auf ihre Uhr. Sie pustete dabei die dunkle Haarsträhne aus der Stirn und sah für einen Moment geschafft aus.
Möglicherweise war es ihre letzte Vorführung an diesem Tag, aber einen Lippenstift sollte sie noch verkaufen. Und zwar an mich.
»Ich hätte auch gern einen!« sagte ich so laut, daß sie mich auch verstehen konnte.
Sie erstarrte in der Bewegung. Den Grund wußte ich nicht. Etwas an meiner Stimme schien sie gestört zu haben. Sehr langsam drehte sie den Kopf, schaute mich an und sah mein Nicken.
»Ich hätte gern den Lippenstift.«
»Natürlich, sofort.« Sie wollte vor sich greifen, dagegen hatte ich etwas.
»Nein, den nicht.«
»Wie meinen Sie?«
»Haben Sie nicht einen bestimmten Lippenstift?«
Rowena de Largo gab sich irritiert. »Ich verstehe Sie nicht, Sir. Was meinen Sie damit?«
»Einen Lippenstift, den Sie einer Bekannten von mir verkauft haben. Er ist etwas Besonderes. Vielleicht Sphinxhaftes. Begreifen Sie mich jetzt, Miß…?«
Der Ausdruck ihrer Augen veränderte sich. Er bekam etwas Lauerndes. Zugleich legte sie beide Hände wie beschützend auf die Lippenstifte vor sich. »Nein, ich habe Sie nicht begriffen, Mister…«
»Mein Name ist Sinclair, Miß de Largo.«
»Sie kennen mich?«
»Es steht auf Ihrem Schild an der Brust«, erwiderte ich lächelnd.
»O ja, ich vergaß. Ich habe noch zu tun, das sehen Sie ja. Sie möchten einen Lippenstift…?«
»Dann zeigen Sie mir ihn!«
»Nein, Sie werden ihn mir geben. Ich habe nicht ohne Grund den Begriff sphinxhaft verwendet. Oder wäre Ihnen Atlantis lieber, Miß de Largo?«
»He, Sie, halten Sie nicht den Betrieb auf!« Eine resolut aussehende Frau sprach mich an. Sie nickte noch in meine Richtung und zeigte mit dem Finger auf mich, damit auch die anderen Kunden erkennen konnlen, wen sie gemeint hatte.
»Tut mir leid, Mister«, erklärte Rowena de Largo in einem kalten, triumphierenden Tonfall und wandte sich wieder ab. »Sie haben ja gehört, daß die Kunden mich brauchen. Vielen Dank für Ihr Interesse.«
Sie schaltete das Mikro wieder ein und knipste auch ihr geschäftsmäßiges Lächeln an. »Auf zur nächsten Runde, Ladies and Gentlemen. Es wird die letzte für heute sein. Sie haben noch die Chance, richtig zuzugreifen, und denken Sie auch an Ihre Freunde und Bekannten. Jeder, der nicht hier sein kann, hat etwas versäumt. Sie könnten die Leute natürlich schicken oder ihnen den Lippenstift als Geschenk mitbringen. Lucky Lips macht glücklich und gibt dem Leben ein anderes Gefühl, glauben Sie mir…«
Ich mußte der Frau ein Kompliment machen, ob ich wollte oder nicht. Sie hatte mich eiskalt abfahren lassen. Das schaffte auch nicht jede. Jedenfalls
Weitere Kostenlose Bücher