Todesküsse
Sphinx. Noch war sie verdeckt, schon bald aber sah Kara in einen grellen, fast explodierenden Kreis hinein.
Die Sonne!
Sie strahlte nicht nur auf die Erde nieder, ihre Strahlen trafen auch das Schiff, auf dessen Deck die Statue ihren Platz gefunden hatte. Keine Plane verhüllte sie noch, die Sonnenstrahlen konnten sie frei treffen — und vernichten.
Die magische Sphinx schmolz zusammen. Sie zerrann, sie zerfloß, der dicke Brei schob sich über das Deck, fand Mittel und Wege, um durch Ritzen zu gelangen und in bestimmte Löcher zu dringen. Das Wasser nahm ihn auf.
Es kühlte ihn ab, und Kara konnte »sehen«, wie die dicke Flüssigkeit auf den Meerboden sank.
Immer tiefer und tiefer, von der Strömung gepackt, mitgerissen und verteilt.
Es sah nach dem Ende aus, aber das war es nicht, denn die Strömung schien von den Mächten der Dunklen Seite unter Kontrolle gehalten zu werden. Sie trieben die Masse in einem großen Bogen zurück an Land, wo die Wellen des Meeres sie anspülten und eine einsame Frauengestalt am Ufer stand, um über das Wasser zu starren. Das mußte sie sein!
Das Haar der Frau wehte im Wind. Es war schwarzes Haar, wie das Gefiedereines dunklen Vogels. Der Wind spielte mit ihm und trieb es von einer Seite auf die andere, wenn er innerhalb kurzer Zeit seine Richtung wechselte.
Die Frau trug nicht einen Faden am Leibe. Ihre Kleidung lag in einer Mulde, sie war im Begriff in den Wellen des Meeres ein Bad zu nehmen, und sie konnte nicht sehen, was angetrieben wurde, denn die Masse befand sich noch unter Wasser.
Noch zögerte sie. Vielleicht fühlte sie sich beobachtet. Aber nur Kara schaute ihr aus einer anderen Zeit zu. Sie sah den nackten Rücken der Frau und den Schwung der Hüften. Ein Körper wie gemalt, schön und verführerisch.
Sie hob die Arme. Eine fließende Bewegung, ebenso wie die der Finger, als sie gespreizt durch das dunkle Haar fuhren und es aufwühlten. Der feine Sand wurde von den unsichtbaren Flügeln des Windes in die Höhe geschaufelt und gegen den nackten Körper geworfen. Die Unbekannte bewegte die Füße, die Zehen spielten im Sand. Sie schaute auf die Wellenkämme, die im Licht der warmen Sonnenstrahlen wie durchsichtiges, flüssiges Gold schimmerten, mit einem leicht grünlichen Schleier in ihrem Innern. Ein friedliches Bild, das jedoch trog.
Hätte Kara es vermocht, sie hätte die Frau zurückgehalten, so aber entging sie nicht ihrem Schicksal.
Mit einer entschlossen anmutenden Bewegung betrat sie das Wasser. Die auslaufenden Wellen umspülten zunächst ihre Füße, wenig später die Knie, dann reichte der Schaum hoch bis zu ihren Hüften. Er umschmeichelte die Haut wie streichelnde Finger.
Für Kara hatte es den Anschein, als würde die Fremde direkt in die Sonne hineinschreiten, deren Strahlen die Konturen des Körpers wie den feinen Sand am Ufer zerfließen ließen.
Sie tauchte ein, bückte sich noch und begann zu schwimmen. Wellen trugen sie weiter hinaus, manchmal schaukelte sie auf deren Kronen wie eine Königin der Meere.
Doch das Unheil nahm seinen Lauf.
Es näherte sich der Schwimmerin. Eine geschmolzene Masse, die nicht unterging und zu Boden sank, aber auch nicht so leicht war, daß sie an der Oberfläche schwamm.
Dicht unter dem Wasserspiegel trieb sie dahin. Getragen von der Kraft der Wellen, sich manchmal ausbreitend, dann wieder zusammenfließend und so aussehend, als würden sie Arme bilden.
Kara hatte das Glück, auch in die Tiefe schauen zu können. Sie beobachtete das Gebilde, dessen magische Kräfte noch erhalten geblieben und auf einen bestimmten Punkt gerichtet waren. Er bewegte sich über ihm.
Ein Schatten mit menschlichen Umrissen — die Schwimmerin. Sie wurde zur sicheren Beute der magischen Masse.
Die Arme streckten sich. Sie waren auf einmal lang wie nie, erinnerten an die Tentakel eines Kraken und griffen zu. Die Frau wurde völlig überrascht. Sie riß noch einen Arm hoch, bevor sie in die Tiefe gezerrt wurde. Ihre Hand tanzte für einen Moment oberhalb der Wasserfläche, als wollte sie zum Abschied winken. Dann war auch sie verschwunden. In der Tiefe rollte sich die Masse um die nackte Schwimmerin. Sie umschlang sie, begann damit an den Knöcheln, bedeckte schon bald den Oberkörper und ließ auch das Gesicht nicht aus, in das Kara noch einmal hineinschauen konnte und deutlich den entsetzten Blick der Augen sah und den weit geöffneten Mund darunter, aus dem noch letzte Luftbläschen stiegen, die an der Oberfläche
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