Todesküsse
einige Male schlucken, denn die Frauen kamen sicherlich nicht allein. Sie würden eine Begleitung haben, eine Beschützerin.
Rowena de Largo!
Noch hielt sie sich zurück, ihre Helferinnen ließen sich an den Rand der Spiegelfläche treiben. Aus dem glatt wirkenden Material stiegen sie hervor.
Wie Nixen aus dem Wasser, so kamen sie an »Land«. Sie bewegten sich sehr geschmeidig, als wären sie die perfekten Turnerinnen. Mit elastischen Bewegungen erklommen sie die untersten Stufen, warteten, bis alle den Spiegel verlassen hatten, und schauten hoch zu mir. Sechs Augenpaare starrten mich an. Ich sah auch sechs Münder. Grellrot, leuchtend, Gefahr ausstoßend und bereit zum Küssen. Auch Jill erkannte ich. Die als Punkerin aufgemotzte Verkäuferin lachte mich sogar an, bevor sie mir zuwinkte.
Es war kein netter Gruß, auch das Spitzen des Mundes empfand ich als eine Bedrohung. Man hatte mich nicht umsonst gefesselt. Ich war den Frauen und auch ihren Küssen wehrlos ausgeliefert. Mit knappen Gesten verständigten sie sich und verteilten sich auf der untersten Stufe um die Spiegelfläche herum.
Die vier anderen Gefesselten und ich waren zur Nebensache geworden. Die Frauen warteten auf ihre Königin.
Die Sphinx ließ sich Zeit. Vielleicht verbarg sie sich noch zwischen den Dimensionen. Es war oft so, daß ein Dämon zuerst seine Gehilfen schickte und erst später selbst erschien, um in die große Auseinandersetzung einzugreifen.
Mein Interesse galt nicht den sechs Frauen. Die Spiegelfläche war noch nicht zur Ruhe gkommen. Ich hatte den Eindruck, als würde eine aus der Tiefe hervordringende Kraft die Oberfläche zum Zittern bringen. Erste Dämpfe wallten auf. Dünne Schwaden, wie feingewobene Leichentücher. Sie trieben innerhalb der Fläche, drangen nicht über die Ränder hinweg, als wollten sie anzeigen, daß noch jemand aus der Tiefe steigen würde.
Die sechs Frauen taten nichts!
Sie standen unbeweglich wie Zinnsoldaten. Ihre Gesichter wiesen nichts von dem aus, was in ihren Köpfen vorging. Sie blieben kalt und ausdruckslos.
Rowena de Largo enttäuschte weder ihre Dienerinnen noch mich. Sie hatte für ihren Auftritt eben nur die entsprechende Umgebung gebraucht, die war nun vorhanden.
Waren die Helferinnen noch langsam aus dem Spiegel gestiegen, so klappte es bei der Sphinx schneller. Sie kam wie eine Göttin. Schwungvoll drehte sie sich hervor, allerdings nicht als Mensch, dafür als Mythos, als Zwitterwesen aus Mensch und Tier.
Sie besaß den Leib einer Löwin, doch den Kopf einer Frau. Mit einem geschmeidigen Sprung erreichte sie den Rand des Kreises. Es sah so aus, als wollte sie die Ränge hochlaufen, das tat sie nicht, denn sie blieb unten und fühlte sich zwischen ihren Dienerinnen wohl. Rowena de Largo umrundete die Arena. Sie ging dabei auf samtweichen Pfoten, hatte ihren Kopf vorgestreckt, das schwarze Haar umgab das Gesicht tatsächlich wie eine dunkle Mähne, und auch der Ausdruck hatte etwas Raubtierhaftes angenommen.
Der Kopf war gewachsen, ebenso der Körper. Die Proportionen stimmten also. Das Fell glänzte in einem matten Graugold und auch wie feine Seide.
Sie besaß sehr kräftige Beine und Tatzen. Bei jedem Auftreten vernahm ich das Klatschen, das als leises Echo zu mir hochdrang. Vor ihren aufgestellten Helferinnen umrundete sie einmal die Spiegelfläche, blieb stehen und hob ihren menschlichen Kopf an. Der Blick richtete sich auf mich.
Ich blickte schräg in die Tiefe.
Unsere Blicke trafen sich.
Zwei menschliche Augenpaare, aber tief in ihren Pupillen leuchtete etwas Unheimliches, etwas Gefährliches und Grausames, das mir den Tod versprach.
Ich spürte es kalt den Rücken hinabrinnen. Das Wissen, nichts tun zu können, ließ bei mir die Gänsehaut erscheinen. Ich war der Sphinx ausgeliefert.
Noch wartete sie, starrte durch den freien Raum zwischen zwei ihrer Dienerinnen hindurch. Die Kälte der Augen ließ mich noch stärker schaudern. Das waren keine menschlichen Augen mehr in diesem dennoch menschlichen Gesicht. Dieses Grausame Paar versprach den Tod.
Die Flanken des Raubtierkörpers zitterten. Auf dem Rücken sträubte sich das Fell, der Blick verdunkelte sich, dann wiederum veränderte er sich so, daß ich in ein gelbes Pupillenpaar starren konnte, das sich innerhalb der Schwärze zeigte.
Wie lange wollte sie noch warten?
Sekunden vergingen. Sie kamen mir lang vor. Es sprach niemand, selbst das Hecheln oder das schwere Atmen der vier anderen Gefangenen vernahm ich nicht
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