Todesküste
die durch einen grünen Wall von der eigentlichen
Fahrbahn abgetrennte Vorfahrt vor den Mehrfamilienhäusern. Die Bauweise mit dem
typischen Rotklinker und den vorgebauten, in knalligem Rot gestrichenen und
verglasten Loggien boten dem Auge erfreulichere Reize als viele ideen- und
seelenlos geplante Wohnhäuser der Neuzeit. Lediglich die gelben Mülltonnen in
den etwas zurückliegenden Hauszugängen wollten nicht zum sauberen Bild passen.
Unter der angegebenen Adresse nahe »In der Großen
Heide« und der »Oadby-and-Wigston-Straße« fand Lüder zahlreiche Mietparteien.
Er betätigte den Klingelknopf. Auch nach mehrmaligem Läuten rührte sich nichts
in der Gegensprechanlage. Er versuchte es bei Nachbarn und hatte erst beim
dritten Mal Erfolg. Eine Frau um die vierzig, in lässiger Freizeitkleidung,
öffnete ihm und erwartete ihn mit brennender Zigarette an der Wohnungstür.
»Holl?«, überlegte sie. »Kann sein, dass die noch auf
Arbeit sind. Sie ist dahinten, die Straße Richtung Hochbahn runter, in der
Reinigung. Können Sie nicht dran vorbei. Da arbeitet sie. Und er? Der klopft
immer viele Stunden. Holl ist im Herold-Center. Kennen Sie das?«
»In welchem Geschäft arbeitet Herr Holl dort?«
»In welchem Geschäft?«, wiederholte die Frau mit
rauchiger Stimme. »In kein’. Der ist direkt da in Arbeit. Als Wachmann. Oder
wie das heißt. Wissen Sie, wo das ist?«
Lüder bejahte, obwohl er sich die genaue Adresse durch
sein GPS würde anzeigen lassen,
und kehrte zu seinem BMW zurück.
Es war eine kurze Wegstrecke, bis er im Parkhaus des Einkaufszentrums einen
Platz fand. Ein Hinweisschild führte ihn zu einem Informationsstand, hinter
dessen Glaswand eine Frau saß und über Monitore die Zugänge zu den Parkplätzen
kontrollierte.
»Ich hätte gern Herrn Holl gesprochen«, bat er die
Frau. Sie neigte sich über ein Mikrofon, drückte einen Kopf und sagte: »Herbert,
da ist einer für dich da. Hier – bei mir.« Dann lächelte sie Lüder an. »Kleinen
Augenblick.«
Lüder beobachtete eine Weile die Menschen, die mit
vollgepackten Tüten aus dem Einkaufszentrum kamen und den Gang zum Parkplatz
durchquerten. Hastig vorbeieilende Frauen, ins Gespräch vertiefte ältere Paare,
die ohne Zeitdruck zu bummeln schienen, Familien mit Kinderwagen und nölendem
Nachwuchs an der Hand und viele andere Menschen. Inmitten der Kunden tauchte
ein Mann in einem mausgrauen Anzug auf. Er hatte zurückgekämmtes dunkles Haar
mit deutlich sichtbaren Geheimratsecken. Am Revers trug er ein Namensschild
unter dem Schriftzug »Herold-Center«. Er sah sich suchend um. Lüder ging ihm
entgegen.
»Herr Holl? Mein Name ist Lüders. Gibt es ein
Plätzchen, wo wir ungestört miteinander reden können?«
Holl sah ihn ratlos an. »Um was geht es?«
»Ich komme von der Kripo Kiel. Erschrecken Sie bitte
nicht. Ich möchte Sie nur um ein paar Informationen zu einem Fall bitten, den
wir bearbeiten.«
»Kommen Sie«, sagte Holl und führte Lüder in einen
Aufenthaltsraum für das Personal. So elegant und sauber sich das
Einkaufszentrum den Kunden auch präsentierte, so schäbig zeigte es sich von
dieser Seite. Abgestoßene Wände, von denen die Farbe blätterte, ein wackliger
Tisch mit zahlreichen Kaffeeflecken und dazu passende schlichte Holzstühle.
»Sie müssen entschuldigen«, bat Holl, als er Lüders
kritischen Rundblick bemerkte. »Etwas Besseres haben wir nicht.«
Holl wirkte müde und erschöpft. Er ließ sich auf einen
der Stühle nieder und nickte Lüder zu. »Um was geht es?«
»Kennen Sie Silvio Merseburger?«
Herbert Holl überlegte eine Weile. Dann schüttelte er
den Kopf. »Tut mir leid. Mit dem Namen kann ich nichts anfangen. Wer soll das
sein?«
»Wir wissen, dass Merseburger Sie öfter angerufen hat.«
»Mir sagt der Name aber nichts.«
»Wir ermitteln gegen Merseburger wegen
ausländerfeindlicher Umtriebe.«
Holl massierte sich mit den Fingerspitzen die
Schläfen. »Ach so. Vielleicht ist es der Spinner, der seit einiger Zeit bei uns
anruft. Einen Namen hat er nie genannt. Der stammelt wirres Zeug. Von Freiheit
für die Deutschen. Weg mit dem Pack und so. Ich hatte immer den Eindruck, dass
es ein Verrückter ist. Der hat keine zwei Sätze vernünftig herausgebracht.«
»Hat er Sie bedroht?«
Holl lachte bitter auf. »Das nehme ich nicht ernst.«
»Haben Sie daran gedacht, die Polizei einzuschalten?«
»Und? Was soll das bringen? Das kümmert doch keinen.
Die wird doch erst aktiv, wenn jemand ernsthaft zu
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