Todesnacht - Booth, S: Todesnacht - Scared to Live
Prioritäten gab, habe ich sie einfach in der Reihenfolge drangenommen, in der sie angeliefert wurden«, sagte die Pathologin Juliana van Doon. »Also kommen wir zuerst zu den Brandopfern. Da es drei sind, habe ich einen Kollegen gebeten, mir zu assistieren. Also sollte es nicht zu lange dauern, bis wir zu Ihrem Schussopfer kommen.«
»Dafür bin ich nicht zuständig. Ich untersuche den Hausbrand.«
»Oh, ich dachte, Sie wären befördert worden.«
Alle im Autopsieraum trugen vollständige Schutzkleidung, um Infektionen zu vermeiden. Angeblich verhinderte das außerdem, dass sich der Geruch in der Kleidung festsetzte und andere Leute und ihre Hunde vor einem zurückschreckten und sich übergeben mussten, wenn man auf die Straße ging.
Es war Lindsay Mullen, die auf dem Seziertisch lag. Die Schnittstelle, wo die Pathologin sie geöffnet hatte, zeichnete sich leuchtend rot auf ihrer wächsernen Haut ab. Fry war froh, dass sie das Entfernen der Schädeldecke zur Untersuchung des Gehirns nicht hatte mit ansehen müssen. Das Geräusch der Säge und der Gestank versengter Knochen waren für sie der schlimmste Teil einer Obduktion. Das heißt, eine andere Sache gab es noch, die genauso schlimm war: der Moment, wenn die gelöste Kopfhaut mit der Innenseite nach außen über das Gesicht des Leichnams nach vorn geklappt wurde wie ein Handtuch, das nach Schankschluss über die Bierzapfhähne gelegt wurde.
»Eine wohlgenährte Kaukasierin, deren körperliche Konstitution dem angegebenen Alter von neunundzwanzig Jahren entspricht.« Die Pathologin sah auf. »Einundsechzig Kilo bei einer Körpergröße von einem Meter dreiundsiebzig. Die äußerlichen Verletzungen sind allesamt oberflächlich. Keinerlei Anzeichen für externe Traumata.«
»Irgendwelche Hinweise auf sexuelle Aktivität in letzter Zeit?«, erkundigte sich Fry, um sich von den Gerüchen abzulenken.
Mrs. van Doon schürzte die Lippen und schob sich die Ärmel zurück. »Sie haben eine rege Phantasie, oder?«
»Ich brauche jeden Hinweis, den ich bekommen kann, ob an jenem Abend noch eine andere Person im Haus war.«
»Ja, ich verstehe, worauf Sie hinauswollen. Mir ist klar, warum solche Fälle Ihnen übertragen werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie ein Stück Schmutz nicht untersuchen.«
»Dann haben wir ja einiges gemeinsam«, entgegnete Fry kühl, überrascht von der Schärfe ihres Tonfalls. Sie nahm jedoch an, dass selbst Pathologen manchmal menschlich waren.
»Nein, keine Anzeichen für Geschlechtsverkehr. Das hier ist das Einzige, was wirklich von Interesse ist...«
Die Pathologin hielt ein Körperteil hoch, das mit dem Skalpell herausgetrennt und aufgeschlitzt worden war. Fry erkannte es nicht, womit Mrs. van Doon vermutlich gerechnet hatte.
»Das ist die Speiseröhre. Bei den schwarzen Flecken, die man auf der Innenseite sieht, handelt es sich um Ruß. Sie deuten darauf hin, dass das Opfer am Leben war, als das Feuer ausbrach, und Rauch eingeatmet hat. Die Menge an Ruß, der sich in der Speiseröhre befindet, hat ausgereicht, um daran zu ersticken.«
»Dann ist das also die Todesursache?«
»Möglicherweise... In einem solchen Fall wirken drei Faktoren zusammen. Das Einatmen von Rußpartikeln schädigt die Atemwege, da die Partikel extrem heiß sind und toxische Stoffe enthalten. Heiße Luft versengt die oberen Atemwege und verursacht unter Umständen eine Vagushemmung. Aber es gibt noch einen dritten Faktor. Normalerweise wird Kohlenmonoxid mit Rußinhalation assoziiert, und die dunkelrosafarbenen
Verfärbungen am Torso lassen auf eine Kohlenmonoxidvergiftung schließen. Wir lassen Blutproben auf die Carboxyhämoglobinwerte hin untersuchen.«
»Ich gehe davon aus, dass wir bald ein Gutachten bekommen?«
»Sobald ich Zeit dazu habe.« Die Pathologin streifte ihre Handschuhe ab. »Die anderen beiden Brandopfer sind Kinder, wie ich sehe.«
»Ja.«
»Wissen Sie, die Kinder sehen beinahe unversehrt aus, bis auf die Kohlenmonoxid-Verfärbungen und ein paar Rußflecken.«
Fry suchte nach etwas, das sie sagen konnte. »Das macht das Ganze noch schlimmer, finde ich. Sie sehen nicht so aus, als seien sie tot, nicht wahr?«
»Auf emotionaler Ebene ist das richtig.«
Sie sah der Pathologin zu, wie sie ihre Handschuhe in einen Mülleimer warf, und fragte sich, ob sie von ihr soeben auf subtile Weise beleidigt oder für ihre Professionalität verspottet worden war. Auf emotionaler Ebene? Vielleicht war es aber auch nur ein intimes Geständnis
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