Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)

Titel: Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
Vom Netzwerk:
sie keine Hilfe rufen konnten. Sie hatten schon lange keine anderen Schiffe mehr gesehen, und Ægir nahm an, dass sie wochenlang herumschippern konnten, ohne von jemandem bemerkt zu werden. Doch dann erinnerte er sich an den Notknopf, den Þráinn ihm gezeigt hatte und der ein Signal mit Angaben zur Position absetzte. Sie würden also nicht bis an ihr Lebensende über die Weltmeere treiben müssen. Ob er einfach auf die Brücke gehen und den Knopf betätigen sollte? Ob eine ausländische Mannschaft ihm glauben würde? Und wenn sie ihm nicht glaubte oder sich weigerte, seine Familie an Bord zu nehmen? Er ließ es lieber bleiben, aber der Notknopf gab ihm dennoch ein gewisses Sicherheitsgefühl.
    Ægir kritzelte für Lára eine kurze Nachricht auf einen Zettel, erklärte, wohin er ginge und dass sie und die Mädchen ihm nicht folgen sollten. Dann zog er seine Schuhe an und verließ geräuschlos das Zimmer. Bevor er die Tür hinter sich zuzog, überlegte er noch, ob er seine Frau kurz anstoßen sollte. Lára und die Mädchen hatten mehr als zwei Stunden geschlafen und würden in der Nacht nicht mehr schlafen können, wenn sie nicht bald aufwachten. Sie waren über der letzten DVD eingenickt, nur Ægir hatte sich wach halten können. Er hätte auch gerne geschlafen, wollte aber wach bleiben, falls jemand versuchte, in die Kabine einzudringen. Aber wie sollte es in der Nacht laufen? Natürlich konnte er sich nicht tagelang wach halten, und selbst wenn, würde er in erschöpftem Zustand nicht viel ausrichten, falls es zu Handgreiflichkeiten käme. Lára und er mussten abwechselnd Wache halten, deshalb ließ er sie jetzt lieber schlafen. Sie hatte einen Riesenwirbel wegen Karítas’ Parfümflakon gemacht. Sie hatte ihn Ægir zeigen wollen, weil angeblich derselbe Duft aus der Kühltruhe gekommen war. Doch der Flakon war nicht mehr an seinem Platz. Er war weder in ihrer Kabine noch im Bad, und Lára hatte alle möglichen Verschwörungstheorien entwickelt. Ægir machte sich keine Gedanken darüber. Es gab jede Menge andere, ernstere Dinge, über die er sich den Kopf zerbrach. Er zog die Tür zu und achtete darauf, sie leise einrasten zu lassen.
    Als er die Treppe hinaufstieg, spürte er jeden Schritt. Bislang war sein Körper diesen Weg nahezu ferngesteuert gegangen, doch nun nahmen seine Fußsohlen das glänzende Holz wahr, und er setzte ganz bewusst einen Fuß vor den anderen. Zum ersten Mal spürte er das Geländer in seiner Handfläche, die Oberfläche war kalt und hart. Die Geräusche, die von oben kamen, waren ebenfalls deutlicher als sonst, obwohl sie nicht laut waren: ein kurzes Quietschen, ein leises Brummen, das bestimmt schon seit Beginn der Reise da war, obwohl er es nicht gehört hatte, das Poltern eines Stuhls. Diese intensiven Sinneswahrnehmungen mussten mit seinen angespannten Nerven zusammenhängen, wobei es nicht um ihn selbst, sondern um seine Familie ging. Das einzig Wichtige war, seine Frau und seine Kinder heil nach Hause zu bringen. Diese Feststellung ermutigte ihn, und er stieg energisch die Treppe hinauf. Wer um sich selbst keine Angst hatte, hatte einen Trumpf in der Hand.
    Ægir beschloss, erst auf der Brücke vorbeizuschauen. Dort würde er zumindest erfahren, wie die Fahrt lief und wie die Wettervorhersage war. Er hoffte zwar, dass es der Mannschaft irgendwie gelungen war, die Geräte zu reparieren, aber das war wohl eher unwahrscheinlich. Ægir war sich sicher, dass derjenige, der die Leiche über Bord geworfen hatte, an den Geräten herumhantiert haben musste. Alles andere wäre ein zu großer Zufall. Und das verhieß nichts Gutes. Wie wollte der Täter die anderen dazu bringen, den Mund zu halten, wenn sie wieder an Land wären? Dafür gab es nur einen sicheren Weg.
    Þráinn war alleine auf der Brücke. Er saß auf dem Kapitänsstuhl und starrte wie hypnotisiert vor sich hin. Ægir musste sich räuspern, um auf sich aufmerksam zu machen. Da schaute der Kapitän auf und sah ihn mit blutunterlaufenen Augen an. Er schien sich nicht hingelegt zu haben und war jetzt seit eineinhalb Tagen wach.
    »Hallo, ich dachte schon, ihr lasst euch gar nicht mehr blicken«, sagte er, setzte sich auf seinem Stuhl auf und massierte seinen Kiefer, wie um ihn für eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
    »Die Mädchen und Lára sind total erschöpft. Seekrank.«
    »Aha«, sagte Þráinn skeptisch. »Hoffentlich geht es bald vorüber.«
    Ægir merkte, dass es sinnlos war, ihn davon überzeugen zu wollen – er

Weitere Kostenlose Bücher