Todesschlaf - Thriller
aufgefallen?«
»Soll ich ehrlich sein? Mary Jane. Sie jagt mir eine Heidenangst ein, und immer, wenn was passiert, ist sie in der Nähe.«
»Es gehört zu ihrem Job, immer in der Nähe zu sein, wenn was passiert.«
»Ich weiß auch nicht«, meine Cindy achselzuckend. »Jedenfalls soll ich dir von Ellen ausrichten, dass sie glaubt, dass deinem Dad nichts geschehen kann. Sie glaubt, dass seine Station nicht betroffen ist.«
»Ich gehe ihn jetzt gleich mal besuchen. Kann ja nicht schaden, ganz sicherzugehen. Willst du mitkommen und Opa besuchen, Megs?«
Meghan erstarrte nicht gerade zu Stein. Aber sie senkte den Kopf und hielt ihren Apfel so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden.
»Ich bleibe gerne hier bei ihr«, bot Cindy an.
Meghan sagte kein Wort. Aber Timmie verstand sie trotzdem. Restcrest gefiel Meghan nicht. Nicht als Aufenthaltsort für ihren Opa.
Timmie ließ sich überreden. »Das wäre sehr nett von dir. Du wirst mit Pizza entlohnt. Du bestellst, ich bezahle.«
Das Angebot löste große Begeisterung aus, und Timmie überlegte, ob sie Restcrest einen Besuch abstatten oder zu Hause bleiben und hören wollte, warum Cindy nicht mehr um ihren Exfreund trauerte.
»Ich sollte dir eigentlich verraten, wer er ist«, sagte sie, als ob Timmie sie danach gefragt hätte, und damit war Timmies Entscheidung gefallen. Sie lautete: Restcrest.
Es hätte schlimmer kommen können. Als Timmie eintraf, war das Abendessen gerade zu Ende, und Joe saß gewaschen und sauber und lächelnd in einem Knautschsessel im Gemeinschaftsraum. Timmie wusste, dass der Knautschsessel ihn daran hinderte, wegzulaufen, und sie konnte sich nicht einmal vorstellen, wie es sein musste, zu versuchen, ihn aus diesem Ding herauszuhieven.
»Hallo, Dad«, sagte sie zur Begrüßung und ging vor ihm in die Knie.
Er blinzelte sie an.
»Er ist ziemlich still heute«, sagte eine der Schwestern. »Wir dachten schon, er hätte Fieber oder vielleicht einen Harnwegsinfekt, aber bis jetzt haben wir noch nichts festgestellt.«
Timmie legte ihm selbst die Hand auf und fühlte kühle, pergamentene Haut. Ihr Vater blinzelte erneut und wandte sich ab. Timmie kämpfte gegen dieses dumme Gefühl der Verlassenheit an, das sie jedes Mal überfiel, wenn er sie nicht erkannte, und kam wieder auf die Füße.
»Keine Rezitationen?«, sagte sie. »Keine obszönen Soldatenlieder?«
Die Krankenschwester, noch so ein junges Mädchen mit Namen Tracy, geordneten braunen Haaren und kleinen Händen, streichelte Joe tatsächlich über den Kopf. »Nicht einmal ein Limerick. Vielleicht ist er einfach nur ein wenig müde. Er ist immer noch in der Eingewöhnungsphase.«
»Ich verstehe.«
Timmie ertappte sich dabei, wie ihr Blick zum fünften Flügel hinüberwanderte, dorthin, wo Mrs. Worthmueller in aller Stille auf ihren endgültigen Abgang wartete. Sie musste
unbedingt nach ihr sehen. Musste dafür sorgen, dass ihr niemand eine tödliche Beigabe in die Infusionslösung mischte. Aber trotzdem setzte sie sich während der anstandshalber erforderlichen zwanzig Minuten oder so erst einmal direkt neben ihrem Vater auf den Boden und tauschte belanglose Bemerkungen mit anderen Heimbewohnern aus.
Erst, als sie wieder aufstehen wollte, stellte sie fest, dass sie einen Arm um das Bein ihres Vaters geschlungen und er ihr eine Hand auf den Kopf gelegt hatte. Genau die Haltung, mit der er vor vielen Jahren oben in St. Louis immer die Märchenstunde in der Brentwood Library dominiert hatte.
Timmie konnte sich noch ganz genau an die Eindrücke von damals erinnern. Der Duft nach Zitronenwachs und Buchbindekleber und Papier. Das gedämpfte Geräusch ehrfürchtiger Stimmen und vorsichtiger Schritte. Das sinnliche Erlebnis der ersten Bücher, die ihr Vater ihr in die Hände gelegt hatte. Es war ein verzauberter Ort gewesen, der ganz der melodiösen Stimme ihres Vaters und dem Lachen der Kinder gehörte, die er an jedem Mittwochnachmittag in seinen Bann zog. Und Timmie hatte jedes Mal zu seinen Füßen gekauert wie ein treues Haustier und hatte gewartet, bis sie an die Reihe kam.
Nur, dass sie kein einziges Mal an die Reihe gekommen war.
»Sie wollen schon gehen?«, sagte die Schwester, als Timmie aufsprang.
Timmie zuckte zusammen. Wieso hatte sie es Murphy erzählt? Was hatte es gebracht? Jetzt war sie völlig durcheinander und schämte sich, und ihr Vater war immer noch ihr Vater. Und sie musste ein paar Ermittlungen anstellen.
»Ähm, nein«, entgegnete sie und strich
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