Todesstunde
geöffnet wurde. Er enthielt eine getippte Nachricht. Außer dem heutigen Datum standen dort noch zwei Wörter: Für Lawrence. «
Meine Nackenhaare sträubten sich. Ich schloss die Augen.
An mich adressiert?
»Für Lawrence?«, wiederholte ich. »Was soll das? Das ist doch krank. Es gibt keine logische Erklärung, keine Lösegeldforderung. Warum ist die Nachricht an mich adressiert?«
Miriam zuckte mit den Schultern, als Geheimdienstchef Flaum aus dem Wohnwagen kam.
»Die Drogen- und Sprengstoffbehörde hat ihre Jungs schon losgeschickt, um den Sprengstoff identifizieren zu lassen«, erklärte er. »Glauben Sie immer noch, dass es sich um einen Einzeltäter handelt, Mike? Kann das sein? Kann ein einzelner Mensch so etwas anrichten?«
Bevor ich antworten konnte, trat der Bürgermeister aus dem Wohnwagen, begleitet vom Polizeichef und dem Chef der Feuerwehr.
»Guten Morgen, zusammen«, sprach der Bürgermeister in ein Mikrofon. »Es tut mir leid, dass ich an diesem traurigen Tag in der Geschichte unserer Stadt vor Sie treten muss.«
Nicht so leid wie es mir tut, dachte ich und schielte zu dem Blitzlichtgewitter hinüber.
Gegen vier Uhr beendete ich im Bellevue Hospital das Gespräch mit einer alten Chinesin, die bei der Explosion ein Auge verloren hatte. In dem Moment klingelte mein Telefon.
»Mike, es tut mir leid, dass ich dich anrufe«, meldete sich Mary Catherine. »Bei diesem Chaos, in dem du steckst, weiß ich, dass das nicht der richtige Zeitpunkt ist, aber …«
»Was ist los, Mary?«, bellte ich.
»Es ist alles in Ordnung, aber wir sind im Krankenhaus St. John’s Episcopal.«
Ich nahm das Telefon kurz vom Ohr, holte tief Luft. Noch ein Krankenhaus? Noch ein Problem? Langsam wurde die Sache lächerlich.
»Sag mir, was passiert ist.«
»Es geht um Eddie und Ricky. Sie haben wieder mit diesem Flaherty gekämpft. Ricky hat das meiste abbekommen, fünf Stiche am Kinn, aber es geht ihm gut. Ehrlich. Beiden geht’s gut. Mach dir bitte keine Sorgen. Wie läuft’s bei dir? Es muss die Hölle für dich sein.«
»So schlimm ist es nicht«, log ich. »Ich wollte sowieso gerade gehen. Bin schon auf dem Weg.«
22
Wütend, schmutzig und erfüllt von einer großen Leere parkte ich in der Einfahrt und blieb noch einen Moment sitzen. Ich schnupperte an meinen Händen, die ich zwar im Krankenhaus geschrubbt hatte, die aber immer noch nach verbranntem Metall und Tod rochen. Ich rieb sie noch einmal kräftig mit Handdesinfektionslösung ein, bis sie wehtaten. Dann ging ich die Veranda hinauf und betrat mein Haus.
Meine ganze Familie saß am zum Abendessen gedeckten Tisch. Es herrschte Totenstille, als ich von der Küche aus eintrat und bis ans Ende des Tisches ging, um Rickys Kinn und Eddies Schienbein zu inspizieren.
Während ich die Toten geborgen hatte, hatte ein durchgeknallter Jugendlicher meine zehn- und elfjährigen Söhne brutal zusammengeschlagen. Dies hier war mein Heiligtum, und nun wurde auch das belagert. Nichts war mehr sicher.
»Was ist passiert, Jungs?«
»Wir haben nur auf dem Spielfeld am Strand Basketball gespielt«, antwortete Ricky.
»Dann kam dieser Flaherty mit seinen älteren Freunden«, fuhr Eddie fort. »Sie haben uns den Ball weggenommen, und als wir ihn uns zurückholen wollten, haben sie angefangen zu boxen.«
»Okay, Jungs. Ich weiß, dass ihr wütend seid, aber wir müssen diese Sache so gut es geht durchstehen«, erklärte ich mit angestrengtem Lächeln. »Das Gute ist doch, dass jetzt alles wieder in Ordnung ist, oder?«
»Das nennst du in Ordnung?«, beschwerte sich Juliana und deutete auf Rickys Kinn. Sie sagte zu Eddie, er solle den Mund öffnen und mir seinen abgebrochenen Zahn zeigen.
»Dad, du bist doch Polizist. Kannst du dieses Schwein nicht einfach verhaften?«, wollte Jane wissen.
»So einfach ist das nicht«, antwortete ich mit ruhiger Stimme und gespielt überzeugtem Lächeln. »Es gibt Aussagen und Polizeiberichte und anderen Erwachsenenkram, um den ihr euch keine Sorgen machen solltet. Ich kümmere mich darum. Bis dahin haltet ihr den Ball flach. Entfernt euch nicht zu weit vom Haus. Vielleicht geht ihr auch ein paar Tage nicht an den Strand.«
»Ein paar Tage? Das hier sind unsere Ferien«, schimpfte Brian.
»Ja, und zwar unsere Ferien am Strand«, bekräftigte Trent.
»Aber, aber, Kinder«, kam mir Seamus zu Hilfe, weil er merkte, dass ich kurz vorm Ausrasten war. »Euer, äh, Vater weiß das am besten. Wir müssen uns als Christen verhalten und die
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