Todeszauber
der mit Kennermiene Seil und Knoten prüft und dem Publikum mit nach oben gerecktem Daumen signalisiert, dass die Dame fest verschnürt ist. Kaum hat er die Bühne verlassen, tauchen zwei Männer in weißen Anzügen auf der Bühne auf, heben Isabel hoch und lassen sie in das Glasbassin gleiten, in das sie sich gerade eben hineinhocken kann. Als sie ihren Kopf seitlich auf die angezogenen Knie legt, ist sie komplett mit Wasser bedeckt. Sie lächelt. So als wäre es nicht weiter dramatisch, sich gefesselt in einem randvoll mit Wasser gefülltem Kasten zu befinden. Ich würde das keine Sekunde aushalten.
Die beiden Männer legen eine Glasplatte auf das Behältnis und ziehen ein schwarzes Tuch darüber. Das Bassin schwebt langsam in die Höhe. Die Kamera bewegt sich nach rechts, zu einem mannshohen Käfig, der an einer Kette von der Decke hängt. Dann schwenkt sie wieder zurück. Der Zauberer unterhält währenddessen sein Publikum mit ein paar Witzchen, die aufgrund der schlechten Tonqualität nicht zu verstehen sind, offensichtlich ihre Wirkung aber nicht verfehlen. Die Zuschauer lachen und das gleich mehrmals. Als der Behälter circa einen halben Meter unterhalb der Decke hängt, setzt ein Trommelwirbel ein, der dramatisch anschwillt und auf dessen Höhepunkt der Zauberer die Arme hochreißt, nach dem Tuch greift und es mit einem Ruck herunterzieht. Kurz kommt der Käfig ins Bild, der aber leer bleibt. Dann ist wieder das Bassin zu sehen. Isabel hockt immer noch gefesselt im Wasser. Doch sie lächelt nicht mehr. Ihre Augen sind vor Entsetzen geweitet, ihr Mund aufgerissen. Ein Tumult bricht los. Der Behälter wird eilig nach unten gelassen, die Glasplatte entfernt, Isabel aus dem Wasser gezogen und auf den Boden gelegt. Einer der Männer beugt sich über sie und versucht, sie mit einer Mund-zu-Mund-Beatmung zu reanimieren. Ob er Erfolg hat, lässt sich nicht feststellen, da die Zuschauer auf die Bühne stürmen, sodass Isabel hinter einer Wand schwarz befrackter Männerrücken verschwindet. Damit brechen die Filmaufnahmen ab.
Wie erstarrt stehen wir vor meinem Computer. Anna schluchzt auf und schlägt sich die Hände vors Gesicht. Worauf Cornfeld den Arm um sie legt und mit ihr das Zimmer verlässt.
»Hattet ihr nicht gesagt, sie ist erdrosselt worden?«, fragt Franka leise.
»Als ich sie gefunden habe, hatte sie Strangulationsmale am Hals«, sage ich.
»Sie war in diesem Bassin gefesselt«, erwidert Wilsberg nachdenklich. »Und das Seil lag auch um ihren Hals …«
»Wenn sie versucht hat, sich zu befreien, und die Knoten nicht lösen konnte, dann hat sie an ihren Fesseln gezerrt«, überlege ich laut.
»Und hat sich dabei unter Umständen selbst stranguliert. Vielleicht sogar, noch bevor Wasser in ihre Lungen dringen konnte«, greift Franka den Gedanken auf.
»Ich glaube«, sage ich nachdenklich, »es wäre nicht schlecht, wenn wir ein Standfoto hätten. Sicher ist sicher.«
»Du hast doch den Obduktionsbericht gelesen. War da irgendwo die Rede von Ertrinken?«, fragt Wilsberg.
Ich ziehe den Schreibtischstuhl zu mir, setze mich an den Computer und mache einen Screenshot. »Nein. Nicht dass ich wüsste. Aber ich habe das meiste ja sowieso nicht verstanden. Bei dem ganzen Fachchinesisch«, sage ich, während ich die Qualität der Aufnahme überprüfe. Danach betätige ich die Print-Taste.
»Eins scheint jedenfalls sicher«, sagt Wilsberg. »Isabel ist im Club gestorben. Dennoch wurde ihre Leiche trocken und bekleidet in ihrer Wohnung gefunden. Also hat man sie nach Hause gebracht, um es wie einen Mord aus Leidenschaft aussehen zu lassen.«
Ich nicke und beobachte die Seite, die sich langsam aus dem Drucker schiebt. »Warum haben die nicht die Polizei gerufen? Es war doch ganz offensichtlich ein Unfall«, frage ich.
»Weil das einen Riesenskandal gegeben hätte«, sagt Cornfeld, der gerade wieder das Zimmer betreten hat.
»Wieso?«, will ich wissen.
Cornfeld greift mir über die Schulter und startet den Film erneut, dann aktiviert er den Schnelldurchlauf, bis zu dem Moment, als das Wasserbassin nach oben gezogen wird und man den Magier auf der Bühne kurz von vorn sehen kann. Mein Assistent deutet auf das unscharfe Gesicht.
»Darf ich vorstellen: Dieter Rosenberg. Seines Zeichens Senator für Wirtschaft und Arbeit in Hamburg.«
Wilsberg zieht scharf die Luft ein. »Das erklärt natürlich vieles.«
»Wo ist Anna?«, frage ich, als mir auffällt, dass sie nicht mit Cornfeld zusammen ins Zimmer
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