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Todsünde

Todsünde

Titel: Todsünde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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das Dorf Bara liegt – oder lag.«
    »Wie ist der Stand der Ermittlungen?«
    »Sie sind noch nicht abgeschlossen. Es ist jetzt ein Jahr her, und sie treten immer noch auf der Stelle. Ich bezweifle, dass der Fall jemals aufgeklärt werden wird. Wahrscheinlich rangiert er nicht einmal sehr weit oben auf ihrer Prioritätenliste.«
    »An die einhundert Menschen wurden abgeschlachtet, Agent Dean.«
    »Ja, aber Sie müssen das Ereignis im Kontext sehen.«
    »Ein Erdbeben ist ein Ereignis. Ein Hurrikan ist ein Ereignis. Aber wenn ein ganzes Dorf massakriert wird, dann ist das kein ›Ereignis‹. Es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.«
    »Sehen Sie sich doch an, was in Südasien sonst noch los ist. Die Massaker in Kaschmir, begangen von Hindus wie von Muslimen. Die Morde von Tamilen und Sikhs in Indien. Und dann die ganzen Kastenkonflikte. Die Bombenanschläge von linken Guerillas ...«
    »Mutter Mary Clement glaubt, dass es sich um ein religiös motiviertes Massaker gehandelt hat. Eine Attacke gegen Christen.«
    »Solche Überfälle kommen dort durchaus vor. Aber der Träger der Klinik, in der Schwester Ursula arbeitete, war eine weltliche Hilfsorganisation. Die beiden anderen Krankenschwestern, die bei dem Massaker ums Leben kamen, waren in keiner Kirche. Deswegen bezweifelt die Polizei von Andhra Pradesh, dass es sich um einen religiös motivierten Anschlag handelte. Möglicherweise gab es politische Hintergründe. Oder es war ein Hassverbrechen, weil die Opfer Leprakranke waren. Es war ein Dorf der Ausgestoßenen.« Er deutete auf den Ordner, den sie in den Händen hielt. »Da drin sind Autopsieberichte und Fotos vom Tatort. Ich möchte Sie bitten, sich die einmal anzusehen.«
    Maura blätterte um und starrte das Foto an. Der Anblick verschlug ihr die Sprache – und doch konnte sie die Augen nicht von dem Bild des Grauens abwenden.
    Es war wie eine Vision des Weltuntergangs.
    Verkohlte Leichen lagen zu Dutzenden auf rauchenden Holz- und Aschehaufen. Die Hitze des Feuers hatte die Beugermuskeln verkürzt, so dass die Körper in der charakteristischen Fechterstellung erstarrt waren. Zwischen den Leichen verstreut lagen Ziegenkadaver mit schwarz versengtem Fell.
    »Sie haben alles getötet«, sagte Dean. »Menschen und Tiere. Sogar die Hühner haben sie geschlachtet und verbrannt.«
    Maura zwang sich, das nächste Foto anzusehen.
    Sie erblickte weitere Leichen, noch stärker verbrannt als die auf dem ersten Bild. Nur noch Haufen verkohlter Knochen waren übrig geblieben.
    »Der Überfall ereignete sich irgendwann in der Nacht«, sagte Dean. »Die Leichen wurden erst am nächsten Morgen entdeckt. Die Arbeiter der Tagschicht in der nahe gelegenen Fabrik sahen dicke Rauchwolken aus dem Tal aufsteigen. Als sie hingingen, um nachzusehen, bot sich ihnen dieses Bild. Siebenundneunzig Tote, viele davon Frauen und Kinder, darunter auch zwei Krankenschwestern aus der Klinik – beide Amerikanerinnen.«
    »Und das war die Klinik, in der auch Schwester Ursula gearbeitet hatte.«
    Dean nickte. »Und jetzt kommt das wirklich interessante Detail«, sagte er.
    Sie blickte auf. Irgendetwas an seinem Tonfall hatte ihre Aufmerksamkeit geweckt. »Ja?«
    »Es geht um die besagte Fabrik in der Nähe des Dorfes.«
    »Was ist damit?«
    »Sie gehörte Octagon Chemicals.«
    Sie starrte ihn verblüfft an. »Octagon? Das ist doch die Firma, bei der Howard Redfield gearbeitet hat?«
    Er nickte wieder. »Das Unternehmen, gegen das die Börsenaufsichtbehörde ermittelt. Es gibt so viele Verbindungslinien zwischen den drei Opfern, dass es allmählich wie ein riesiges Spinnennetz aussieht. Wir wissen, dass Howard Redfield im Vorstand von Octagon für das Auslandsgeschäft zuständig war – in dem Unternehmen, dem die Fabrik in der Nähe von Bara gehörte. Wir wissen, dass Schwester Ursula in Bara gearbeitet hat. Wir wissen, dass die unbekannte Tote an Lepra litt; das heißt, dass sie ebenfalls in Bara gewohnt haben könnte.«
    »Alle Spuren führen zu diesem Dorf«, sagte Maura.
    »Zu diesem Massaker.«
    Ihr Blick fiel wieder auf die Fotos. »Was erhoffen Sie sich davon, dass ich die Autopsieberichte lese? Was soll ich herausfinden?«
    »Sie sollen mir sagen, ob die indischen Pathologen irgendetwas übersehen haben. Etwas, was Licht auf die Hintergründe des Überfalls werfen könnte.«
    Sie betrachtete die verbrannten Leichen und schüttelte den Kopf. »Das wird schwierig sein. Bei einer Verbrennung wird so viel zerstört. Wenn Feuer im

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