Todsünde
besorgt.«
»In deiner Garage habe ich keine Weihnachtssachen finden können.«
»Ich habe das ganze Zeug in San Francisco gelassen.«
»Und dir nie selbst was gekauft?«
»Ich habe auch nie einen Baum aufgestellt.«
»Es ist jetzt drei Jahre her, Maura ...«
Sie setzte sich auf die Couch und nippte bedächtig an ihrem Drink. »Und wann hast du das letzte Mal die Schachtel mit den Christbaumkugeln aus dem Schrank genommen?«
Er schwieg und blickte nachdenklich auf den Stapel leerer Kartons. Als er dann antwortete, sah er sie nicht an.
»Mir war eben auch nicht sehr nach Feiern zumute.«
Der Fernseher lief noch. Zwar hatte Victor den Ton abgestellt, doch die flackernden Bilder wirkten störend. Er griff nach der Fernbedienung und schaltete das Gerät aus. Dann setzte er sich
zu ihr auf die Couch – in gebührendem Abstand zwar, aber doch nahe genug, um alle Möglichkeiten offen zu lassen.
Er betrachtete den Drink, den sie ihm hingestellt hatte.
»Der ist ja rosa«, sagte er ein wenig verwundert.
»Das ist ein Cosmopolitan. Ich habe dich doch gewarnt – es ist ein Frauendrink.«
Er nahm einen Schluck. »Hm, ich glaube, die meisten Männer wissen gar nicht, was ihnen da entgeht.«
Sie saßen eine Weile schweigend da und nippten an ihren Drinks, während am Baum die Lichter funkelten. Äußerlich eine heimelige, friedvolle Szene – doch Maura konnte sich einfach nicht entspannen. Sie wusste nicht, was sie sich von diesem Abend erwarten sollte, und sie wusste auch nicht, was er erwartete. Alles an ihm war ihr so irritierend vertraut. Sein Geruch; die Art, wie das Licht in seinen Haaren spielte. Und diese Kleinigkeiten, die sie immer so liebenswert gefunden hatte, weil sie Ausdruck seiner Bescheidenheit und Anspruchslosigkeit waren: das abgetragene Hemd, die verwaschene Jeans. Dieselbe alte Timex, die er schon getragen hatte, als sie sich kennen lernten. Ich kann nicht in einem Entwicklungsland aufkreuzen und sagen: › Ich bin gekommen, um euch zu helfen ‹ , wenn ich eine fette Rolex am Handgelenk trage, hatte er erklärt. Victor als Don Quichote, der gegen die Windmühlen der Armut anrannte. Sie selbst hatte schon längst frustriert die Waffen gestreckt, aber er stürzte sich immer noch jeden Tag aufs Neue ins Getümmel.
Und dafür musste sie ihn einfach bewundern.
Er stellte sein Glas ab. »Ich habe heute wieder einen Bericht über diese Nonnen im Fernsehen gesehen.«
»Was haben sie dazu gesagt?«
»Angeblich hat die Polizei einen Teich hinter dem Kloster abgesucht. Was hat es denn damit auf sich?«
Sie lehnte sich zurück. Der Alkohol lockerte allmählich ihre verspannten Schultermuskeln. »Sie haben ein totes Baby im Wasser gefunden.«
»Das Kind der Nonne?«
»Wir müssen noch die DNA-Analyse abwarten.«
»Aber du hast keinen Zweifel, dass es ihr Baby ist?«
»Es muss so sein. Andernfalls würde der Fall unglaublich kompliziert werden.«
»Ihr werdet also in der Lage sein, den Vater zu identifizieren. Wenn die DNA vorliegt.«
»Zuerst einmal brauchen wir einen Namen. Und selbst wenn die Vaterschaft geklärt ist, bleibt immer noch die Frage, ob es sich um einvernehmlichen Sex oder um eine Vergewaltigung handelte. Aber wie sollen wir das herausfinden? Camille kann schließlich nicht mehr aussagen.«
»Trotzdem – das hört sich nach einem möglichen Mordmotiv an.«
»Auf jeden Fall.« Sie leerte ihr Glas und stellte es ab. Es war ein Fehler gewesen, schon vor dem Essen Alkohol zu trinken. Zusammen mit den Nachwirkungen des Schlafmangels benebelte er ihren Verstand. Sie rieb sich die Schläfen, versuchte sich zu zwingen, klar zu denken.
»Ich glaube, du brauchst jetzt was zu essen, Maura. Du siehst aus, als hättest du einen anstrengenden Tag hinter dir.«
Sie lachte gezwungen. »Erinnerst du dich an diesen Film mit dem kleinen Jungen, der immer sagt: ›Ich sehe tote Menschen.‹?«
» The Sixth Sense? «
»Ja. Ich sehe auch ständig tote Menschen, und ich habe es allmählich satt. Das ist es, was mir die festliche Laune verdorben hat. In ein paar Tagen ist Weihnachten, und ich bin noch nicht mal auf die Idee gekommen, einen Baum aufzustellen, weil ich, wo ich gehe und stehe, ständig den Autopsiesaal vor mir sehe. Ich habe das Gefühl, dass meine Hände immer noch danach riechen. Wenn ich an einem Tag wie diesem nach zwei Autopsien nach Hause komme, ist mir schon der Gedanke ans Kochen zuwider. Ich kann noch nicht mal ein Stück Fleisch sehen, ohne gleich an Muskelfasern zu
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