Todtstelzers Krieg
kämpfen und um mein Leben rennen mußte und nicht
die Zeit fand zum Nachdenken, ging es mir gut. Aber jetzt …
Was ich auch tue, es ist von Bedeutung, und was ich auch sage,
es hat Konsequenzen – nicht nur für mich, sondern für die ganze verdammte Rebellion. Sie haben mich zu einer verdammten
Heldin und Anführerin gemacht, und sie erwarten von mir, daß
ich vollkommen bin.
Doch das ist noch nicht einmal alles. Auf der Wolflingswelt,
da … da ist irgendwas mit mir passiert, John. Irgend etwas hat
mich … verändert. Ich bin nicht mehr das, was ich einmal war.
Ich bin mehr. Und ich habe die ganze Zeit über Angst. Ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich habe Alpträume, und ich weiß
nicht, ob sie in der Vergangenheit spielen oder in der Zukunft.
Schreckliche Dinge, fremdartige Dinge geschehen in meinen
Träumen. Nur das Blut hilft dagegen. Es … es stabilisiert mich.
Ich werde ruhiger. Und es hilft mir zu glauben, daß ich noch
immer ein Mensch bin.«
Sie setzte ihren Becher ab und streckte die Hand aus. Die
kleine Glasphiole sprang vom Tisch, segelte durch die Luft und
landete direkt in Hazels wartender Hand. Silver starrte Hazel
entgeistert an.
»Ich wußte gar nicht, daß du ein Esper bist, Hazel!« stammelte er.
»Ich bin auch keiner. Ich bin irgend etwas anderes. Ich bin …
mehr als ein Esper.« Hazel schraubte die Kappe der Phiole ab
und roch genießerisch an der schwarzen Flüssigkeit im Innern . Sie blähte die Nüstern, als ihr der vertraute Geruch schwer und
rauchig in die Nase stieg. Hazel saugte ihn förmlich in die
Lungen, und in ihren Adern schienen Funken zu knistern. Vorsichtig neigte sie die Phiole und ließ einen einzelnen Tropfen
Blut auf ihre Zunge fallen. Sie schluckte ihn rasch herunter, um
den bitteren Nachgeschmack zu vermeiden; dann schloß sie die
Phiole rasch wieder und stellte sie auf den Tisch, um nicht in
Versuchung zu geraten, einen zweiten Tropfen zu nehmen.
Schließlich lehnte sich Hazel in ihrem Sessel zurück und stöhnte laut auf, als die vertraute Hitze durch ihren Körper strömte
und ihr zu neuer Kraft, neuem Selbstvertrauen und neuer Energie verhalf. Der Druck, die Pflichten und die Zweifel, die sie
plagten, waren wie weggewischt. Zum ersten Mal seit Tagen
entspannten sich ihre Gesichtszüge. Zögernd lächelte sie. Es
war ein wunderbares Gefühl.
Silver beobachtete Hazel. Er schwieg, bis er sicher war, daß
die Wirkung eingesetzt hatte. Ursprünglich hatte er geplant,
selbst etwas zu nehmen; doch die Erinnerung an das, was Hazel in der schlimmsten Zeit ihrer Sucht gewesen war, hatte ihn
umgestimmt. Er war kein Junkie. Er hatte sich selbst unter
Kontrolle. Also blieb er sauber und beschloß, Hazel zu helfen,
indem er über sie wachte. Noch während er dies dachte, riß
Hazel die bis dahin halb geschlossenen Augen auf, sprang aus
ihrem Sessel und blickte wild um sich. Silver stand ebenfalls
auf, setzte seinen Becher ab und packte Hazel an den Armen.
Sie schien ihn nicht zu bemerken, und ihre Arme waren so steif
und unnachgiebig wie Stahlstreben. Silver beobachtete sie besorgt. Man mußte vorsichtig sein mit Plasmasäufern, wenn man
nicht selbst Blut getrunken hatte. Dank ihrer neugewonnenen
Kräfte konnten sie einen normalen Menschen im Handumdrehen töten, und sie würden einen Dreck darauf geben, auch
wenn der Effekt des Blutes wieder nachgelassen hatte.
Hazel drehte den Kopf von einer Seite zur anderen und starrte wild mit weit aufgerissenen Augen in einem plötzlich verhärmt wirkenden Gesicht um sich.
»Hazel?« sagte Silver und bemühte sich um einen ruhigen
Tonfall. »Was ist? Stimmt etwas nicht?«
»Es … es ist anders«, antwortete Hazel mit schwerer Zunge.
»Ich bin anders. Ich hätte hier auf dieser Welt kein Blut trinken
dürfen. Nicht mit so vielen Espern ringsum. Sie … beeinflussen mich. Ich kann nicht mehr unterscheiden, was in meinem
Kopf ist und was draußen. Das Blut hat irgend etwas in mir
aufgeweckt … etwas, von dem ich nicht einmal wußte, daß es
da war. Ich kann Dinge sehen, John. Viele Dinge. Nichts ist
mehr vor mir verborgen.«
Sie starrte auf die Wand vor sich, und plötzlich war die Mauer verschwunden! Es dauerte einen Augenblick, bis Silver begriff, daß er sah, was Hazel sah. Ihr Bewußtsein hatte sich mit
dem seinen verbunden und zeigte ihm, was im benachbarten
Zimmer vor sich ging: Der junge Dieb und Einbrecher namens
Katze leerte einen kleinen Lederbeutel voller glänzender Juwelen
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