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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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zu kochen, abzuwaschen und zu bügeln. Vater befiehlt mir, in der Wohnung zu bleiben, die Füße hochzulegen und zu schlafen. Und meine Schwester? Die übernimmt mehr Verantwortung für Joy, bringt sie zur amerikanischen Schule und zum Chinesischunterricht. Ich weiß nicht genau, wie ich das erklären
soll. Meine Schwester und ich haben uns viele Jahre um Joy gestritten. May schenkt ihrer Nichte hübsche Kleider aus dem Kaufhaus - eine Rüschenbluse, ein himmelblaues Partykleid mit weißen Punkten, ein anderes, das hübsch gesmokt ist -, während ich für meine Tochter praktische Sachen nähe: Pullis aus zwei Stücken Filz, chinesische Jacken mit Raglanärmeln aus Baumwolle von der Altkleidersammlung und Kittel aus Seersuckerstoff (wir nennen ihn »Atomstoff«, weil er nicht knittert). May kauft Joy Wildlederschuhe, während ich auf Sattelschuhen bestehe. Mit May ist es lustig, während ich die Regeln festsetze. Mir ist schon klar, warum meine Schwester die perfekte Tante sein will; das wissen wir beide. Aber im Moment mache ich mir keine Sorgen darum, sondern lasse Joy von mir fort in die Arme ihrer Tante treiben, da ich davon ausgehe, mit May nie um die Liebe meines Sohnes wetteifern zu müssen.
    Da meine Schwester vielleicht merkt, dass sie mir Joy fortnimmt, gibt sie mir Vern. »Er wird dir nicht von der Seite weichen«, sagt sie, »und aufpassen, dass nichts Schlimmes passiert. Er kann sich um Kleinigkeiten kümmern, dir zum Beispiel Tee kochen. Und falls ein Notfall eintritt - wozu es nicht kommen wird -, kann er uns holen.«
    Man sollte meinen, Mays Angebot würde Sam freuen, aber ihm gefällt der Vorschlag ganz und gar nicht. Ist Sam eifersüchtig? Wie kann das sein? Vern ist ein erwachsener Mann, doch während wir die Tage miteinander verbringen, scheint er zu schrumpfen, so wie mein Bauch wächst. Trotzdem lässt Sam nicht zu, dass Vern beim Mittagessen oder bei anderen Mahlzeiten neben mir sitzt. Die ganze Familie akzeptiert das, weil Sam bald Vater wird.
    Oft sprechen wir über Namen. Es ist jetzt anders als damals, als May und ich einen Namen für Joy suchten. Vater Louie wird die Ehre und die Pflicht haben, seinem Enkelsohn einen Namen zu geben, aber das bedeutet ja nicht, dass keiner eine Meinung hätte oder ihn nicht zu beeinflussen versuchte.

    »Du solltest das Baby Gary nennen, nach Gary Cooper«, sagt meine Schwester.
    »Mir gefällt mein Name. Vernon.«
    Wir lächeln und sagen, das sei eine schöne Idee, aber niemand will ein Kind nach einem Menschen benennen, der so mit Mängeln behaftet ist, dass man ihn, wäre er in China geboren, zum Sterben auf der Straße ausgesetzt hätte.
    »Ich mag Kit wegen Kit Carson und Annie wegen Annie Oakley«, sagt natürlich meine Cowgirl-Tochter.
    »Gib ihm doch den Namen von einem der Schiffe, mit denen die Chinesen nach Kalifornien gekommen sind: Roosevelt, Coolidge, Lincoln oder Hoover«, sagt Sam.
    Joy kichert. »Aber, Dad, das sind doch Präsidenten, keine Schiffe!«
    Joy macht sich oft über ihren Vater lustig, weil er so wenig von der englischen und amerikanischen Lebensweise versteht. Das muss ihn zumindest verletzen. Eigentlich sollte Sam seine Tochter bestrafen, weil sie respektlos ist. Aber er ist so glücklich über seinen zukünftigen Sohn, dass er das freche Mundwerk seiner Tochter gar nicht beachtet. Ich sage mir immer wieder, dass wir diesen Wesenszug bei unserem Mädchen unterbinden müssen. Sonst endet sie noch wie May und ich, als wir jung waren: unverschämt zu unseren Eltern und schamlos ungehorsam.
    Einige Nachbarn machen ebenfalls Vorschläge: Einer hat seinen Sohn nach dem Arzt benannt, der ihn auf die Welt holte. Ein anderer gab seiner Tochter den Namen einer besonders freundlichen Krankenschwester. Die Namen von Hebammen, Lehrern und Missionaren füllen die Kinderbetten in ganz Chinatown. Ich denke daran, wie Miss Gordon Joy das Leben rettete, und schlage deshalb vor, den Jungen Gordon zu nennen. Gordon Louie klingt nach einem erfolgreichen, cleveren, nicht-chinesischen Mann.
    Als ich im fünften Monat bin, verkündet Onkel Charley, dass er als Mann vom goldenen Berg in sein Heimatdorf zurückkehren will. »Der Krieg ist vorbei, und die Japaner haben China verlassen.
Ich habe genug gespart und kann dort gut leben.« Wir geben ein Essen, schütteln ihm die Hand und fahren mit ihm zum Hafen. Es sieht aus, als würde für jede Ehefrau, die nach Chinatown kommt, ein Mann nach Hause zurückkehren. Wer sich immer schon als Gast in diesem Land

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