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Toechter Aus Shanghai

Titel: Toechter Aus Shanghai Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa See
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beugt sich vor. »Angenommen, ein in Amerika geborener Chinese reist nach China, um zu heiraten. Wenn er nach Amerika zurückkehrt, erzählt er den Behörden, seine Frau habe ein Kind bekommen.«
    Ich habe aufmerksam zugehört und glaube, eine Schwachstelle
gefunden zu haben. »Hat sie denn wirklich ein Kind bekommen?«
    »Nein. Das behauptet er nur, und kein Beamter von der Botschaft in China oder hier von Angel Island fährt in irgendein Dorf, um zu überprüfen, ob der Mann die Wahrheit gesagt hat. Dieser Mann also, der amerikanischer Staatsbürger ist, bekommt ein Papier, auf dem steht, dass er jetzt einen Sohn hat, der ebenfalls amerikanischer Staatsbürger ist, und zwar wegen seines Vaters. Aber der Sohn wurde natürlich nie geboren. Er existiert nur auf dem Papier. Nun hat der Mann einen Platz für einen Papiersohn zu verkaufen. Der Mann wartet zehn Jahre, zwanzig Jahre. Dann verkauft er das Papier - den Platz für einen Papiersohn - an einen jungen Mann in China, der einen neuen Familiennamen annimmt und nach Amerika fährt. Er ist kein echter Sohn. Er ist nur ein Papiersohn. Die Einwanderungsbeamten hier auf Angel Island versuchen, ihn hinters Licht zu führen, damit er die Wahrheit zugibt. Wenn sie ihn erwischen, wird er nach China zurückgeschickt.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann fährt er in seine neue Heimat und lebt dort als Papiersohn, mit falscher Staatsbürgerschaft, unter falschem Namen und mit einer falschen Familiengeschichte. Diese Lügen begleiten ihn, solange er hier lebt.«
    »Aber wer würde das wollen?«, frage ich skeptisch, denn wir kommen aus einem Land, in dem Familiennamen eine sehr wichtige Rolle spielen und manchmal über zwölf oder mehr Generationen zurückverfolgt werden können. Die Vorstellung, dass ein Mann bereitwillig seinen Familiennamen ändert, um hierherzukommen, klingt einfach unglaubwürdig.
    »Genügend junge Männer in China würden dieses Papier nur zu gerne kaufen und so tun, als wären sie der Sohn eines anderen, wenn das bedeuten würde, sie könnten nach Amerika kommen - zum goldenen Berg, ins Land der Blütenflagge«, antwortet Dong-shee. »Glaub mir, sie werden viele Demütigungen hinnehmen
und hart arbeiten müssen, aber sie verdienen Geld, sparen es und kehren eines Tages reich zurück.«
    »Das hört sich einfach an...«
    »Schau dich um! So einfach ist das nicht!«, mischt sich Lee-shee ein. »Die Befragungen sind schon schlimm genug, und die lo fan ändern ständig die Bestimmungen.«
    »Gibt es denn auch Papiertöchter?«, frage ich. »Gibt es Frauen, die auf diese Weise einreisen?«
    »Welche Familie würde eine so wertvolle Gelegenheit auf eine Tochter verschwenden? Wir haben Glück, wenn wir am falschen Status unseres Ehemanns teilhaben und als Papierfrau einreisen können.«
    Die beiden Frauen lachen, bis ihnen Tränen in die Augen treten. Wie ist es möglich, dass diese ungebildeten Bäuerinnen besser als wir darüber Bescheid wissen, wie man in dieses Land kommt? Weil sie die Zielgruppe darstellen, während May und ich eigentlich gar nicht hier sein sollten. Ich seufze. Manchmal wünsche ich mir, wir würden einfach wieder zurückgeschickt werden, aber das geht ja gar nicht. China ist an die Japaner verloren, May ist schwanger, und wir haben kein Geld und keine Familie.
    Wie üblich dreht sich das Gespräch dann schnell um das Essen, nach dem wir uns sehnen: gebratene Ente, frisches Obst und Schwarze-Bohnen-Sauce - alles, nur nicht diesen weich gekochten Unrat, den sie uns hier vorsetzen.
     
    Mays Plan entsprechend, ziehe ich die weiten Sachen an, die ich auf der Flucht aus China getragen habe. Die meisten Frauen sind nicht lange genug hier, um zu merken, dass May und ich mit jedem Tag fülliger werden. Oder es fällt ihnen auf, aber sie sind so diskret, wie unsere Mutter es gewesen wäre, wenn es um etwas so Persönliches geht.
    Meine Schwester und ich sind in einer kosmopolitischen Stadt aufgewachsen. Wir haben so getan, als wüssten wir eine Menge, aber von vielen Dingen hatten wir überhaupt keine Ahnung.
Mama - typisch für diese Zeit - war immer sehr zurückhaltend, wenn es um etwas Körperliches ging. Sie hat uns nicht einmal vor dem Besuch der kleinen roten Schwester gewarnt, und als es zum ersten Mal passierte, war ich völlig entsetzt und dachte, ich würde verbluten. Nicht einmal da hat Mama mir erklärt, was das ist. Sie hat mich zu den Dinestbotinnen geschickt, damit mir Pansy und die anderen beibringen, wie ich damit umgehen muss und

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