Toechter Aus Shanghai
unterhalten zu werden. Die Gäste haben es gern, wenn ich gebrochenes Chop-suey-Englisch spreche - und das fällt mir ganz leicht, nachdem ich Vern, dem Alten Herrn Louie und vielen anderen zugehört habe, die zwar hier geboren wurden, jedoch ein falsches, fehlerhaftes Englisch sprechen. Für mich ist das Schauspielerei; für Sam ist es unbekanntes Terrain, und das stößt mich ebenso ab wie seine heimlichen Tändeleien mit wer weiß wem.
Ich komme zum Golden Lantern, wo Yen-yen Souvenirs verkauft und auf Joy aufpasst. Gemeinsam machen wir uns ans Polieren, Abstauben und Fegen. Nachdem ich fertig bin, spiele ich ein bisschen mit Joy. Um halb zwölf lasse ich Joy wieder mit Yen-yen alleine und gehe zurück in das Café, wo ich in Windeseile Hamburger für fünfzehn Cent serviere. Unsere Hamburger sind nicht ganz so beliebt wie die Chinaburger in Fook Gay’s Café mit den pfannengerührten Sojasprossen, schwarzen Pilzen und der Sojasauce, aber unsere Gerichte mit Salzfisch und Schweinefleisch für zehn Cent und die Schälchen mit Reis und Tee für fünf Cent laufen auch nicht schlecht.
Nach dem Mittagessen arbeite ich im Golden Lotus und verkaufe Seidenblumen, bis Vern aus der Schule kommt. Dann gehe ich ins Golden Pagoda. Ich wollte unsere Pläne für den Weihnachtsfeiertag mit meiner Schwester besprechen, doch sie ist gerade damit beschäftigt, einen Kunden davon zu überzeugen, dass die Lackarbeit, für die er sich interessiert, auf einem Floß inmitten eines Sees bemalt wurde, damit kein Staubkorn auf die perfekte Oberfläche gerät. Daher beschäftige ich mich mit Fegen, Abstauben und Polieren.
Bevor ich mich auf den Rückweg zum Café mache, kehre ich ins Golden Lantern zurück, hole Joy ab und bummle mit ihr ein wenig durch die Gassen von China City. Auch ihr gefallen die Rikschas gut, genau wie den Touristen. Die Golden-Rikschas-Fahrten sind äußerst beliebt - sie sind der erfolgreichste Geschäftszweig des Alten Herrn Louie. Johnny Yee, einer der Jungen von hier, zieht die Rikscha, wenn Prominente kommen oder Werbeaufnahmen gemacht werden, ansonsten sind jedoch Miguel, José und Ramón die Fahrer. Sie bekommen das Trinkgeld und einen kleinen Teil der fünfundzwanzig Cent, die eine Fahrt kostet. Ein bisschen mehr verdienen sie, wenn sie einen Kunden überreden können, ein Foto zu kaufen, das weitere fünfundzwanzig Cent kostet.
Heute versetzt eine Kundin Miguel einen Tritt und schlägt ihn mit der Handtasche. Warum tut sie das? Weil sie es sich leisten kann. Wie Rikschafahrer in Shanghai behandelt wurden, hat mich nie gekümmert. Lag das daran, dass der Betrieb meinem Vater gehörte? Dass ich wie diese weiße Frau war - den Fahrern übergeordnet? Dass Rikschafahrer in Shanghai kaum etwas Besseres als Hunde waren, während May und ich uns jetzt auf einer Stufe mit ihnen befinden? Ich muss all diese Fragen mit Ja beantworten.
Ich bringe Joy zu ihrer Großmutter zurück, gebe der Kleinen einen Gutenachtkuss, weil ich sie erst wiedersehen werde, wenn ich nach Hause komme, und verbringe den restlichen Abend
damit, Schweinefleisch süß-sauer, Huhn mit Cashewkernen und Chop Suey zu servieren - Gerichte, von denen ich in Shanghai nie gehört und die ich dort nie gesehen habe -, bis das Café um zehn Uhr schließt. Sam muss noch alles absperren, und ich mache mich alleine auf den Weg zur Wohnung, gehe lieber durch das weihnachtliche Gedränge auf der Olvera Street, als alleine die Main Street entlangzulaufen.
Ich schäme mich dafür, das May und ich hier gelandet sind. Ich mache mir Vorwürfe, weil wir so hart arbeiten und nie eine der lo-fan -Münzen dafür erhalten. Einmal habe ich dem Alten Herrn Louie die Hand hingestreckt und ihn um Bezahlung gebeten, da hat er mir nur auf die Hand gespuckt. »Ihr habt zu essen und einen Platz zum Schlafen«, sagte er. »Du und deine Schwester, ihr braucht kein Geld.« Damit war das Thema erledigt, nur bekomme ich langsam ein Gefühl dafür, was wir einnehmen könnten. Die meisten Leute in China City erhalten dreißig bis fünfzig Dollar im Monat. Gläserspüler verdienen nur zwanzig, Tellerwäscher und Kellner kommen auf vierzig bis fünfzig Dollar monatlich. Onkel Wilburt erhält jeden Monat siebzig Dollar, das gilt als sehr gutes Einkommen.
»Wie viel hast du diese Woche verdient?«, frage ich Sam jeden Samstagabend. »Hast du etwas auf die Seite gelegt?« Ich hoffe, dass er mir irgendwann, irgendwie etwas von diesem Geld gibt, damit ich von hier wegkomme. Aber er
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