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Toedliche Blumen

Toedliche Blumen

Titel: Toedliche Blumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wahlberg
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hingegen, Gruntzén, hatte andere Ansprüche ans Leben. Er stand gerade vor seiner buttergelben Villa mit der elegantesten Gartenanlage des Viertels und war dabei, einem Mann, der hoch oben in einem der Bäume saß, Anweisungen zu geben. Ein ziemlich komischer Anblick. Der Mann sollte höchstwahrscheinlich die Krone lichten. Gruntzén schien es nicht riskieren zu wollen, seinen tipptopp angelegten Rasen zu zerstören, indem er einen Hänger aufs Grundstück zog, der die Arbeit vermutlich bedeutend erleichtert hätte, dachte Claesson. Gruntzéns hatten Veronika und ihm im Übrigen schon so manche Überraschung beschert. Die rein äußerliche Idylle hatte nämlich mit der Zeit Risse bekommen und war schließlich geplatzt. Frau und Kinder waren ausgezogen. Sowohl Veronika als auch er mussten allerdings zu ihrer Scham eingestehen, dass sie ein gewisses Gefühl der Zufriedenheit darüber empfanden, wie sehr der gesamte Schein getrogen hatte.
    Claesson fühlte sich eigentlich zu kraftlos, um auszupacken, tat es aber dennoch. Trug seine Schmutzwäsche in die Waschküche, schaltete die Maschine jedoch nicht ein, sondern wollte warten, bis Veronika nach Hause kam und er ihre und die Wäsche der Tochter gleich mitwaschen konnte.
    Er schaute auf die Uhr. Er durfte nicht vergessen, Veronika und Klara in knapp zwei Stunden am Bahnhof abzuholen. Er sehnte sich nach seinem Kind. Mit einer gewissen Zufriedenheit stellte er fest, dass er am nächsten Tag nicht zur Arbeit gehen musste. Er und Klara. Sie beide würden zusammen sein.
    Stellte sich nur die Frage, ob er sich zusammenreißen und das Auto aus der Garage holen konnte, um sich auf den Weg zum Einkaufen zu machen. Er müsste wenigstens etwas Brot, Milch und Dickmilch besorgen. Gleichzeitig spürte er, wie sich die Müdigkeit in ihm breit machte. Er schloss die Haustür wieder, nahm die Zeitung, die er aus dem Briefkasten gefischt hatte, und streckte sich auf dem Bett aus. Doch zuvor stellte er sich den Radiowecker, um nicht zu verschlafen, falls er nun eindösen sollte.
    Er schlug die Allgemeine auf und stellte fest, dass die Massenmedien nur in der Lage waren, jeweils ein aktuelles Verbrechen aufzugreifen. Der Västlund-Fall war in Vergessenheit geraten. Stattdessen wurde nun über das verschwundene Mädchen berichtet.
    Natürlich hatte er die Plakate gesehen und bereits in Stockholm die Abendzeitungen gelesen. Sowohl die Spannung als auch das Engagement waren gestiegen, weil die Zeit drängte. Nachbarn, Freunde, Klassenkameraden, ja, die ganze Stadt schien beunruhigt zu sein. Lina, die beste Freundin von Viktoria, war abgebildet, ein dickliches Mädchen, das den Blick scheu niedergeschlagen hatte. Selbst von dem Wohnhaus, in dem Viktoria mit ihrer Mama wohnte, brachte man ein Bild.
    Die Dramaturgie wurde gratis dazugeliefert. Keiner wusste, wie es ausgehen würde, und ein Ende war nicht abzusehen. Ansonsten beschlich ihn eher das Gefühl, dass die Präsentation von Verbrechen immer mehr zur reinen, makaberen Unterhaltung verkam, woraufhin er überlegte, wann diese Veränderung eigentlich begonnen hatte. Auch wenn sich die Journalisten an die Wahrheit hielten, stellte sich beim Leser oftmals ein Gefühl von aufregender Zerstreuung ein. Nur selten tauchten glatte Lügen oder haarsträubende Fehler auf. Jedenfalls wenn die Artikel von routinierteren Journalisten stammten. Doch es gerieten immer stärker die Opfer und ihre Angehörigen in den Fokus, während die Täter, die eigentlichen Schurken und Verbrecher, immer mehr in den Hintergrund rückten.
    Jetzt fiel es ihm bedeutend mehr auf als zu der Zeit, wo ihn seine eigene Arbeit für so etwas blind gemacht hatte.
    Aber hier handelte es sich um die Realität. Das Mädchen war tatsächlich verschwunden. Bei dem Gedanken an Viktoria und ihre Mutter durchfuhr ihn ein eisiger Schmerz, ein starrer Schreck, den zu empfinden er früher gar nicht fähig gewesen wäre. Nicht, bevor Klara geboren worden war. Jedenfalls nicht so existenziell. Ein tiefer, angeborener Instinkt. Er hatte die Veränderung an sich bemerkt, als er eines Tages einen Mann beobachtete, der so stark an dem Arm seines Kindes zog, dass er abzureißen drohte. In dem Moment war er selbst kurz davor gewesen, dem Vater eine Ohrfeige zu verpassen.
    Er erschauderte bei dem Gedanken, dass die Mutter des verschwundenen Mädchens wahrscheinlich schon seit geraumer Zeit mit einem permanenten Gefühl der Ungewissheit lebte. Stunde um Stunde ohne jegliche Gewissheit, ein

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