Toedliche Blumen
dass Louise seinen Posten übernommen hatte.
»Ich habe gerade erst angefangen«, setzte Benny sie ins Bild.
»Sonderbarer Ort«, sagte sie und sah sich, auf der Türschwelle wippend, um.
»Finde ich eigentlich nicht«, hörte sie eine wohlbekannte Stimme sagen.
Janne Lundin tauchte hinter ihr auf.
»Hallo! Schön, dass du gekommen bist«, sagte sie und nickte nach oben.
Janne Lundins Gesicht schwebte ungefähr auf Höhe der Zweimetermarke. Im Augenblick war es unrasiert.
»Ich bin schon eine Weile hier«, sagte Lundin.
Louise blinzelte mit den Augenlidern und überlegte, ob sie ein schlechtes Gewissen haben musste, weil sie sich nicht mehr beeilt hatte.
»Gut«, sagte sie.
»Berg und ich kamen als Erste, aber Peter ist bereits mit der Zeugin, die die Frau hier blutend auf dem Boden liegend entdeckte, zur Polizeiwache gefahren«, berichtete Lundin, während er direkt vor sich auf den Zementboden wies. »Das Opfer heißt übrigens Doris.«
»Aha.«
»Doris Västlund. Sie ist um die siebzig Jahre alt und wohnt hier im Haus«, erklärte er.
Louise blieb in der Türöffnung stehen, mit Lundins langem Körper über sich gebeugt. Obwohl er älter war als sie, würde er weder gegen sie arbeiten noch die Ermittlungen an sich reißen – im Gegensatz zum überwiegenden Teil der männlichen Fahnder, die ihren weiblichen Kollegen nur allzu gern einen Fall aus der Hand nahmen. Aber natürlich völlig unbewusst, einfach so, aus einem Reflex heraus. Früher war Louise in solchen Situationen oft aufgebraust. Das entsprach ihrem leicht cholerischen Temperament und auch ihrem Gerechtigkeitssinn. Da jedoch nur wenige Menschen Zurechtweisungen duldeten, hatte sie sich mit der Zeit ein gemäßigteres Auftreten angewöhnt und hielt sich immer öfter zurück. Sie selbst hatte den Eindruck, ihre Fähigkeit inzwischen so gut zu beherrschen, dass sie nunmehr Weltklasse im Schweigen war – oder jedenfalls klug genug, angemessen zu reagieren. Nicht weil sie es für die beste Methode hielt, sondern weil sie tat, was in ihrer Macht stand.
Völlig unerwartet bemächtigte sich ein krampfartiger Schmerz ihres Zwerchfells, aber er war auszuhalten. Die Anspannung war nicht ausschließlich unangenehm, sie setzte auch Energie frei. Louise streckte sich und begann sich in den Räumlichkeiten zu orientieren. Sie folgte Janne Lundins Blick zurück in den Korridor. In ihre Richtung hin weitete er sich zu einer rechteckigen Fläche, von der aus mehrere Türen zu Trockenraum, Dunkelkammer, Hobbyraum, Sauna und schließlich zur Waschküche führten, in der sie sich gerade befanden. Außerdem gab es eine weitere Tür auf der gegenüberliegenden Seite, die direkt in den Innenhof führte. Lundin wies auf sie, und Louise nickte.
»Möglicher Fluchtweg«, sagte sie.
»Einer von vielen«, murmelte er.
»Genau.«
Lundin hatte im Übrigen die Vertretung des Chefpostens mit der Begründung abgelehnt, dass er es aus Altersgründen vorzog, sein Leben nicht ausschließlich der Verbrechensbekämpfung zu widmen. Er wollte, so weit möglich, die regulären Arbeitszeiten nicht überschreiten, aber da nahezu alle seine Kollegen sich mehr oder weniger intensiv mit ihrem Job identifizierten, war das Risiko einer Überarbeitung allemal gegeben. So mancher Kollege war im Laufe der Jahre schon die Wände hochgegangen, allerdings noch keiner aus ihrem Team. Dort fanden sie im Allgemeinen rechtzeitig die Tür. Warum es sich so verhielt, hatten sie in der Zwischenzeit immer mal wieder analysiert, und Louise war sicher, dass es auf ihre gute Zusammenarbeit zurückzuführen war. Eine im Grunde kameradschaftliche Einstellung hielt den Arzt und die Krankschreibung fern. Sie wusste, dass das im Zeitalter des Individualismus recht altmodisch klang. Aber es stimmte.
Zwei Scheinwerfer waren in der geräumigen und – den blanken Maschinen und der relativ frischen weißen Wandfarbe nach zu urteilen – erst vor kurzem eingerichteten Waschküche aufgestellt worden. Das grelle Licht brannte in den Augen.
»Es hat sicher Streit um die Waschzeiten gegeben«, sagte Technik-Benny lakonisch. »Västlund heißt die, die niedergeschlagen wurde«, fügte er hinzu und zeigte auf die Liste an der Wand.
»Ich weiß«, entgegnete Louise und schaute sich die Liste genauer an.
Janne Lundin nickte, während er seine Brille aufsetzte, um besser lesen zu können.
»Man weiß ja, wie zänkisch Weibsbilder sind«, meinte Benny »Ist das denn schon sicher?«, kommentierte Louise seine
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