Toedliche Blumen
die anderen beiden Betten waren leer.
Kjell hieß er. Kjell E.
Trotz seines verunstalteten Gesichts konnte Veronika ihn nach einer halben Sekunde Bedenkzeit einordnen. Sie hoffte allerdings, dass ihr weißer Kittel und die fremde Umgebung ihn verwirren würden, sodass er sie nicht wiedererkannte.
»Und wie geht es Ihnen heute?«, lächelte sie aufmunternd.
Er lächelte mit seinem geschwollenen Gesicht tapfer aus seinem Bett zurück, vermied es dabei aber tunlichst, seine Lippen zu spreizen.
»Haben Sie etwas essen können?«
»Nein. Bin auch nicht hungrig«, antwortete er mit belegter Stimme. »Aber mein Kopf dröhnt so verdammt, als würde er jeden Moment platzen!«
Sie signalisierte ihm, dass sie Verständnis dafür hatte, und versprach ihm weitere Schmerztabletten. Gleichzeitig erklärte sie ihm, dass noch eine Untersuchung durchgeführt werden würde, bevor er eventuell mit einem Rezept für weitere Antibiotika gegen die Verletzungen im Gesichts- und Mundbereich entlassen werden konnte. Man würde eine Röntgenuntersuchung seines Kopfes machen, um auszuschließen, dass die Schädel- und Gesichtsknochen oder auch das Gehirn ernsthaft verletzt waren.
»Vielen Dank auch«, sagte Kjell E. Johansson und kratzte sich durch die Öffnungen zwischen den Knöpfen seines Krankenhausnachthemdes an der Brust.
»Haben Sie eigentlich Anzeige erstattet?«
»Hää?«
»Ich meine, sind Sie misshandelt worden?«
»Nee, zum Teufel, darauf scheiß ich lieber.«
Veronika nickte.
»Wie Sie wollen«, sagte sie milde lächelnd.
»Ganz recht.«
»Es ist im Übrigen nicht zu spät, es nachträglich zu tun«, betonte sie. »Wohnen Sie in der Stadt oder haben Sie es weit nach Hause?«, wollte sie im Zusammenhang mit dem Krankentransport und einer eventuellen Entlassung wissen.
Sie warf einen Blick in die Krankenakte, während Johansson sie darüber aufklärte, dass er zentral wohne. In der Friluftsgatan.
War das nicht die Straße, in der sich am Vortag diese Waschküchengeschichte ereignet hatte? Ihr kam die Adresse aus Doris Västlunds Akte bekannt vor, die sie am vergangenen späten Abend noch diktiert hatte. Im selben Atemzug fiel ihr ein, dass sie die Neurochirurgie in Linköping anrufen wollte, um ein Feedback zu erhalten.
Als sie schon halb aus der Tür war, fiel der Kommentar, dem sie am liebsten entgangen wäre.
»Wie merkwürdig übrigens, Sie hier zu treffen. Ich wusste gar nicht, dass Sie Ärztin sind«, krächzte Johansson.
Seine Augen brannten.
»Woher hätten Sie es auch wissen sollen«, lächelte sie steif als Rechtfertigung und wandte sich dabei wieder halb zu Kjell E. Johansson, der, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, in weiße Kissen gehüllt lag.
»Stimmt«, sagte er und probierte erneut sein vormals so charmantes Lächeln, das jetzt, mit zwei fehlenden Zähnen, einen etwas grotesken Zug angenommen hatte. »Sehen wir uns vielleicht wieder?«
»Man kann nie wissen«, antwortete sie und verschwand endgültig durch die Tür.
Draußen im Flur stellte die Schwester natürlich die erwartete Frage.
»Kennst du ihn näher?«, wollte Lisbeth wissen.
»Nein. Kennen kann man eigentlich nicht sagen, aber er half uns vor einiger Zeit mit einer Sache.«
»Ja?«, fragte Lisbeth und klang nicht ganz zufrieden mit der Antwort.
Manchmal ist es besser, sich an die Wahrheit zu halten als sein Gegenüber wilden Fantasien zu überlassen.
»Er hat unsere Fenster geputzt«, erklärte Veronika deshalb.
»Ach so. Das war es nur!«
Lisbeth klang fast ein wenig enttäuscht, doch Daniel Skotte grinste.
»Schwarz natürlich.«
Sie nickte.
»Er wollte es schwarz abwickeln. Claes ist beim Zählen unserer Fensterscheiben auf über fünfzig Stück gekommen – und die natürlich beidseitig. Dabei handelt es sich allerdings um doppelte Verglasung, das macht insgesamt über zweihundert Stück«, rechtfertigte sie sich und zog die Achseln hoch, als sie das Gefühl beschlich, dass man ihr Überheblichkeit unterstellen könnte.
Doch eigentlich war sie selbst es, die reflexartig ein schlechtes Gewissen bekam. Sicherlich war sie gebildet und allein schon deswegen auf unterschiedliche Weise privilegiert. Hatte einen sinnerfüllten Arbeitsplatz, konnte sich dem Job widmen, der ihr Spaß machte, bezog ein festes und überdurchschnittlich hohes Gehalt und genoss all das, was daraus folgte, einen gewissen Status, besondere Freiheiten und so weiter. Und dennoch fühlte sie sich nicht in der besseren, höher gestellten Welt zu
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