Toedliche Blumen
in der Anfangsphase von Ermittlungen der Fall war. Alle waren halb auf dem Sprung zu diversen Interviews, wie ein modernes Genie die Verhöre nunmehr nannte, um ihnen die Härte zu nehmen und sie gleichberechtigter erscheinen zu lassen. Louise allerdings stieß sich an dem Begriff. In polizeilichem Zusammenhang konnte es sich niemals um gleichberechtigte Gespräche handeln, denn sie hatten einfach nichts mit Freiwilligkeit zu tun. Also war ein Verhör für sie nach wie vor ein Verhör, auch wenn die Methodik etwas moderner geworden war. Vor allem aber waren die Ausführenden inzwischen in psychologischer Hinsicht besser geschult.
Sie schaute auf ihren Plan. Sie hatte Erika damit beauftragt, die Banken zu kontaktieren und Doris’ Konten zu kontrollieren. Erika hatte den Auftrag als Extrabonus dafür erhalten, dass sie so treffsicher geschätzt hatte, wie viel Geld sich im Pappkarton in der Wohnung des Opfers befand, nämlich eine halbe Million, was annähernd stimmte. Die anderen waren viel zu geizig gewesen; Benny Grahn lag mit zweihunderttausend weit daneben, Janne Lundin kam mit dreihunderttausend auf den dritten Platz, knapp hinter Louise selbst, die dreihundertfünfzigtausend wettete, während Peter Berg den Betrag am großzügigsten, nämlich auf eine Million Kronen, schätzte. Erika würde also das Bier spendieren müssen, wenn sich die Lage ein wenig beruhigt hätte.
Louise krempelte ihre Ärmel hoch und kippte das Fenster. Die Sonne schien direkt ins Zimmer, und es war heiß. Sie griff zum Telefon und rief ihre eigene Bank an, um ihren Nachmittagstermin auf den nächsten Tag zu verlegen.
Ihr graute vor diesem Bankbesuch, und dennoch wollte sie ihn hinter sich bringen. Sie musste ihn hinter sich bringen. Diese Unschlüssigkeit sollte endlich ein Ende haben.
Ihre Rechtsanwältin, eine ziemlich pragmatische und realistische Frau, hatte ihr deutliche Anweisungen gegeben, welche Unterlagen sie im Auge behalten sollte: Kontoauszüge, Verträge über mögliche Besitztümer, Rechnungen. Wenn man sich trennte, ging es nicht darum, nett zueinander zu sein. Allerdings auch nicht gerade unverschämt. Eher fair. Vermutlich ahnte die Frau, dass Louise diese Prozedur hinausschob, das spürte sie, doch war sie professionell genug, es nicht zur Sprache zu bringen.
Wenn man sich scheiden ließ, handelte es sich, rein praktisch gesehen, um das Auseinanderdividieren eines gemeinsamen Haushaltes. Keine Halbheiten. Auch wenn sie sich diesbezüglich schon in anderer Hinsicht etwas vorgemacht hatte. Nämlich dass es möglicherweise weniger schmerzhaft sein würde, wenn sie sich in einem Anflug seltsamen Verhaltens aus allem herauswand.
Die vorrangige Frage war, ob sie es sich leisten konnte, in ihrem Haus wohnen zu bleiben. Jeden Tag, wenn sie nach Hause kam, testete sie ihr gefühlsmäßiges Verhältnis zu ihren eigenen vier Wänden. Und zu der Trauer, die es für sie mit sich brächte, die Mädchen in ein neues Umfeld zu verpflanzen.
Aber alles ist letztlich machbar, wenn ein Muss dahintersteht.
Sie versank diesmal nicht in ihrer persönlichen Krise, wie eine von ihren Freundinnen es neulich bezeichnet hatte. Sie war nicht ganz sicher, ob sie diesen Ausdruck mochte. »Krise« klang allzu gefällig und außerdem recht klinisch. In ihrem Inneren fühlte es sich jedoch mehr wie kontinuierlich auftretende Vulkanausbrüche an, fast wie eine kleine Hölle. Gewaltig, heiß und nach Schwefel stinkend. Ein Ort oder eher ein Zustand, den man so schnell wie möglich hinter sich lassen wollte.
Sie ging zur Toilette und erfrischte ihr Gesicht. Das kühle Wasser auf ihrer Haut tat gut. Sie suchte in den Abgründen ihrer schwarzen Schultertasche nach ihrem Schminktäschchen, legte eine dezente Schicht blassgrünen Lidschatten auf und erneuerte die Mascara auf ihren Wimpern. Das Ergebnis war weit entfernt von dem der Inhaberin der Parfümerie, aber sie fühlte sich sichtlich wohler.
Im Korridor hörte sie Janne Lundins Stimme und wandte sich um. Er hatte Benny Grahn im Schlepptau. Sie hatten sich nur mäßig verspätet, wie sie mit einem Blick auf ihre Uhr feststellte.
»Seid ihr startklar?«, wollte sie wissen.
»Ja«, entgegnete Lundin.
»Okay, dann fahren wir los.«
Die Sonne senkte sich langsam. Lundin saß am Steuer. Benny Grahn machte es sich auf der Rückbank bequem. Louise vermisste erneut ihre Sonnenbrille.
Gute zwei Stunden Autofahrt – oder wie lange es dauern würde. Hervorragend.
Sie begann, ein wenig von ihrem
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