Tödliche Ernte
Sie war fotografiert und untersucht worden – nackt genauso wie angezogen –, und man hatte sie gewogen, vermessen und geröntgt.
Hatte Chesa Narben? Tätowierungen? Ein Muttermal? Auch das würde in dem Bericht stehen, in dem außerdem ihre Fingerabdrücke verzeichnet sein würden, genauso wie frühere Knochenbrüche und Einstichstellen von Nadeln, so es welche gab. Man würde auch ihr Haar und die Fingernägel betrachten und Proben verschiedener Körperflüssigkeiten im Labor untersuchen. Hatte sie Drogen genommen? Hatte sie Krebs? War sie anämisch?
Ich wusste ja so wenig über Chesa.
Heute Morgen würde Strabo sie unters Messer nehmen. Warum verspürte ich diesen Zwang, zuzusehen? Es würde eine Qual werden.
Ich wusste genug über Trauer, um zu erkennen, dass ich mich ziemlich dumm verhielt. Ich wollte, dass Blessing gefunden wurde. Ich wollte, dass Chesas Mörder hinter Gitter kam. Ich wollte, dass es vorbei war. Jetzt.
Wenn ich McArdle ausfindig machen und Dellas Leiche finden konnte, würde das schon eine Hilfe sein.
Ich rief bei der städtischen Meldestelle an und bekam Betsy Croll an die Strippe.
»Hey, Betsy.« Ich erzählte ihr von McArdle. »Vorname Joseph. Ich habe im Internet nach seiner Nummer gesucht, aber der Erfolg war gleich null.«
Eine Pause, während sie suchte, dann: »Ich habe keinen Eintrag zu Joseph McArdle«, sagte Betsy. »Aber das Gebäude, in dem das Bestattungsunternehmen untergebracht ist, gehört einer Firma namens Gateway Properties, Inc.«
Hastig notierte ich mir Adresse und Telefonnummer von Gateway.
»Wem gehört Gateway?«
»Das steht nicht da«, entgegnete sie.
Kurze Zeit später klopfte es zaghaft, bevor Strabo seinen Glatzkopf zur Tür hereinsteckte. »Willst du immer noch dabei sein, wenn diese Chesa Jones aufgeschnitten wird?«
»Ja«, sagte ich. »Komme gleich runter.«
Ich ging durch die Flügeltüren der Leichenhalle und zog mir für Chesas Autopsie einen sterilen OP-Kittel über.
In Saal zwei waren drei Autopsien im Gange. Als ich die Eins betrat, rechnete ich damit, Strabo in ein Mikrofon sprechen zu sehen, vor sich Chesa auf einem Stahltisch.
Aber der Raum war leer. Es war eiskalt, das Gebläse, das die Luft frisch hielt, arbeitete auf Hochtouren. Ich hatte meinen Pulli vergessen.
Eine Tür flog auf und Tom Fogarty rauschte herein.
Verflucht.
Er warf mir einen teilnahmslosen Blick aus blauen Augen zu und sah dann stirnrunzelnd auf den leeren Tisch und die Tür. Fogarty klopfte mit dem Fuß auf den Boden.
Dann warf er einen Blick auf die Uhr. »Wo bleibt denn diese blöde Leiche?« Mit einem verächtlichen Grunzen stürmte er wieder nach draußen.
Einige Minuten später ertönte ein metallisches Klappern im Korridor, dann platzte Fogarty erneut herein, diesmal mit Mundschutz. Ihm folgten ein Detective von der Bostoner Polizei, den ich auch am Ort des Verbrechens gesehen hatte, und ein Techniker, der eine stählerne Bahre hereinrollte, auf der Chesa lag. Ich legte meinen Mundschutz an, als Fogarty und der Techniker Chesas Leichnam auf den Tisch hievten. Die Totenstarre hatte nachgelassen. Nur der Nacken war noch steif.
Der Techniker reichte Fogarty die Röntgenbilder. Fogarty sprach ins Mikrofon, während er sie betrachtete. Nichts war gebrochen außer einigen Mittelhandknochen – nicht untypisch bei Basketballern. Einige ihrer Zähne waren unecht, auch das nichts Untypisches.
Er beschrieb die Schwellungen und Blutergüsse um Mund, Nase und Augen, und dass sie anscheinend mit einem stumpfen Gegenstand geschlagen worden war, vermutlich mit einer Flasche.
Er erwähnte das Fehlen von Abwehrspuren an Armen und Händen. Das Gleiche galt für Spuren an Hand- und Fußknöcheln. Sie war nicht gefesselt worden. Hatte sie unter Drogen gestanden? War sie zu betrunken gewesen, um sich zu wehren?
Ich lauschte Fogarty, der leiernd mit Chesas Kopf weitermachte, den Petechien – winzigen Blutungen in der Schleimhaut an Chesas Lippen und im Mund. Er untersuchte die Augenlider und fand auch dort Petechien.
Ich atmete zitternd ein.
Der Detective sah mich scharf an. Ich wich seinem Blick aus.
Chesas Gesicht und Hals waren dunkelrot, ihre Augen quollen hervor. Im Nacken befand sich ein Bluterguss in Form eines umgekehrten V.
Fogarty zischte ins Mikrofon; seine Leidenschaftslosigkeit störte mich über die Maßen.
Er schlussfolgerte, dass Chesa langsam und qualvoll stranguliert worden war.
»… eindeutig um einen Mord«, sprach Fogarty in das
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