Tödliche Fortsetzung - Bischoff, M: Tödliche Fortsetzung
seinem Kopf legte sich und ging in ein Muster über. Übel-keit übermannte ihn. Er musste sich setzen.
Siegfried hatte recht, wie hatte er das übersehen können? Wenn man die Buchstaben neu anordnete, ergab das einen Namen. Seinen.
Die beiden Männer saßen sich schweigend am Küchentisch gegenüber. Kanther blickte wie vom Donner gerührt auf seine Hände, er hatte den Schock noch immer nicht verdaut.
Siegfried sog genussvoll an einer weiteren Zigarette. Seine Stimme klang jetzt nüchtern. Kanthers Selbstbild in sich zusammenstürzen zu sehen wie ein Kartenhaus, hatte ihn nachdenklich gemacht.
»Du hast es wirklich nicht geahnt.«
Kanther schüttelte langsam den Kopf. Es war eigenartig. Obwohl sie sich zwanzig Jahre nicht gesehen hatten, schien es, als sei seit der letzten Begegnung kein Tag vergangen. Es fiel Kanther leicht, seine Geheimnisse mit Siegfried zu teilen. Vielleicht lag es aber auch nur daran, dass er sie sonst niemandem erzählen konnte.
»Ich hatte einen Blackout. An dem Abend davor habe ich diese Elena Pawlenko besucht. An den Rest der Nacht kann ich mich nicht erinnern. Und ja: Ich nehme die Medikamente seit einiger Zeit nicht mehr.«
Siegfried pfiff anerkennend. »Nicht gut. Für dich.«
»Danke für dein Mitgefühl«, entgegnete Kanther sarkastisch.
Eine weitere Pause folgte, Kanther trank wortlos seinen Kaffee, Siegfried rührte schweigend in einer Tasse Tee herum.
»Ich bin nicht nur wegen der Kohle gekommen«, sagte Siegfried leise.
Kanther blickte vom Tisch auf. »Sondern?«
»Ich kenne niemanden in dieser Stadt und ich habe keine Freunde, Martin. Alle Leute, die ich in der Zeit vor meiner Verhaftung kannte, waren Dealer. Mit denen kann man nicht befreundet sein. Die jagen dir bei der nächstbesten Gelegenheit eine Kugel durch den Kopf, um an deinen Stoff, deine Kunden, dein Revier zu kommen. Im Knast gibt es erst recht keine Kameradschaft. Nur Leute, die in der Hierarchie über oder unter dir stehen. Und all die Ratten, die dir deinen Platz am Futternapf streitig machen. Im Alter wird man sentimental. Vielleicht, weil einem die Zeit davonläuft. Weil man nicht mehr morgens aufwacht und glaubt, dass einem die ganze Welt offensteht. Möglicherweise zieht man sich darum gerne in die Vergangenheit zurück. Ich hab viel über die früheren Zeiten nachgedacht, Martin. Über uns beide. Was uns verbunden hat.«
Sein alter Freund sprach Kanther aus der Seele. Er verstand diese Gefühle nur zu gut, auch wenn seine eigenen Gefängniserfahrungen im Vergleich dazu eher harmlos ausfielen. Öfter, als Kanther es sich eingestehen würde, hatte er in den letzten Monaten an seine Jugend gedacht, an die Zeit, als er sich endlich im Heim eingewöhnt und mit Siegfried Freundschaft geschlossen hatte.
Insgeheim hatte Kanther immer darauf gewartet, dass Siegfried eines Tages vor seiner Tür stehen würde. Eigentlich überraschte es ihn nicht wirklich, seinen Freund heute hier vorzufinden. Auch wenn ihn, wie seit dreißig Jahren, neben Freundschaft noch ein anderes Gefühl mit Siegfried verband: Angst.
»Du warst im Albanus der einzige Freund, den ich hatte. Und du hast mir damals gesagt, dass es dir genauso ging. Für mich hat sich bis heute nichts geändert. Ehrlich gesagt wollte ich vor allem eines: einen alten Freund besuchen.«
Wie in einem rührseligen Film sahen sich die beiden lange in die Augen. Bis Kanther schließlich Siegfrieds Blick auswich. »Hätten wir uns damals nicht zufällig im Knast wiedergetroffen, würdest du nicht hier sitzen«, wehrte er ab.
»Stimmt. Und du hättest keinen Bestseller geschrieben und keine Nicht-Annähernd-Millionen verdient, die du vermutlich auch nicht mit Huren verprasst hättest. Du hättest keine Schulden bei mir, sondern würdest mit deiner Frau und deinen Kindern in einer Doppelhaushälfte in Rödelheim sitzen und Tatort gucken. Wer’s glaubt. Dir fehlt die Demut, Martin. Demut und Dankbarkeit.«
»Ist das so? Muss ich dir dankbar sein?«, meinte Kanther ironisch.
»Ja, das solltest du. Und jetzt ist der richtige Moment gekommen, um einem Freund deine Dankbarkeit zu beweisen.« Siegfried stand auf und ging in den Flur. Er kam mit einem kleinen Trolley aus Aluminium zurück und stellte ihn neben dem Küchentisch ab. »Du verwahrst den hier für mich. Ich muss ein paar Tage weg.«
Kanther wurde misstrauisch. »Was ist da drin?«
»Stell keine Fragen, wenn du die Antworten lieber nicht hören willst.«
»Bist du verrückt? Nach dem
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