Tödliche Gier
er bewies enorme Geduld mit seinen Klienten, deren Ringen um Fitness eifrig und kurzlebig zugleich war. Das letzte Mal, dass ich ihn bewusst gesehen hatte, war kurz nach Silvester gewesen, als ein neues Häuflein Bekehrter im Fitnessstudio eingetroffen war, nach den Sünden der Feiertage von einer Art Reuewahn besessen. Zu dieser Jahreszeit war seine Klientel buchstäblich immer am schwersten. Crystal hatte viel zu viel Klasse, um sich mit seinesgleichen abzugeben. Andererseits trennte sie jedoch lediglich eine Ehe von einem Dasein als Stripperin, und so kultiviert sie auch schien, war sie vermutlich nicht wesentlich klüger als er. Wie in allen anderen Bereichen suchen sich die Menschen letztendlich doch auch in der Liebe das eigene Niveau. Stets auf der Hut vor Tommy Hevener rückte ich den Rückspiegel zurecht. Nur weil ich ihn nicht sah, hieß das noch lange nicht, dass er nicht da war. Jedes Mal, wenn ich an ihn dachte, spürte ich einen Druck im Bauch.
Kurz vor halb sieben kam ich zu dem Schluss, dass Crystal nicht mehr auftauchen würde. Ich hatte den Wagen bereits angelassen, als ein weißer Volvo von der Missile her in die Straße einbog und in meine Richtung fuhr. Sie saß am Steuer.
23
Ich stellte den Motor ab, blieb sitzen und sah zu, wie sie abbremste und in die Einfahrt bog. Ich nahm meinen Schirm und stieg im selben Moment aus meinem Auto wie sie aus ihrem. Dies war eine der Gelegenheiten, wo mir eine direkte Frage als der beste Weg erschien. Ich würde auf der Suche nach der Wahrheit nicht hinter Büschen lauern oder über Fensterbretter spähen. »Crystal?«
Sie war bereits durchs Gartentor getreten und wandte sich nun um, um mich anzusehen. Sie trug einen Regen abweisenden Parka, Cowboystiefel, enge Jeans und einen schweren weißen Strickpulli aus Bändchengarn. Sie drückte sich einen Stapel ordentlich gebügelter Hemden an die Brust, um sie vor der Feuchtigkeit zu schützen. Sie war nur leicht geschminkt, und ihr blondes Haar war zu einem Knoten gebunden. Mit einer Hand auf dem Schnappschloss stand sie da, und ich sah ihr die Verwirrung an.
»Kann ich Sie kurz sprechen?«
Ihre Reaktion kam ein wenig verzögert. »Worüber?«
»Über Clint. Wir sind zufällig Mitglieder im selben Fitnessstudio.«
»Was wollen Sie?«
Ich schüttelte den Kopf. »Jemand hat Ihren Wagen hier gesehen und dachte, Sie würden vielleicht wieder auftauchen.«
Sie schloss die Augen und schlug sie wieder auf. »Fiona.«
Ich gab es nicht auf der Stelle zu, aber ich sah auch wenig Grund, es abzustreiten. Wozu auch? Sie wusste, dass ich für Fiona arbeitete, und wer sonst sollte ihr schon nachspionieren? »Vielleicht sollten Sie wissen, dass sie mit Detective Paglia gesprochen hat.«
»Scheiße. Sie muss ihre Nase aber auch in alles stecken. Was hat sie denn vor — bis ans Ende meiner Tage alle meine Schritte überwachen? Mich verfolgen lassen, damit sie mit dem Finger auf mich zeigen kann? Was ich mit meiner Zeit anfange, geht sie einen feuchten Dreck an.«
»He, Herzchen. Es war nicht meine Idee. Wenn Sie sauer sind, fechten Sie es mit ihr aus.«
»Oh, sicher.« Sie hielt inne, während sie um Beherrschung rang. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme eher resigniert als wütend. »Verschwinden wir lieber aus dem Regen. Es ist doch albern, hier zu stehen, bis wir total durchnässt sind.«
Ich folgte ihr durch das Gartentor. Wir gingen die Vordertreppe hinauf und stellten uns in den Schutz der Veranda. Ich senkte meinen Schirm und schüttelte das Wasser ab.
»Es wäre vermutlich sinnlos, wenn Sie behaupten würden, Sie hätten mich heute nicht gesehen.«
»Mir gefällt es auch nicht besser als Ihnen.«
»Wissen Sie, die ganze Zeit, die ich mit Dow verheiratet war, hat sie sich die größte Mühe gegeben, mir das Leben zur Hölle zu machen. Wie viele Schweinereien soll ich mir eigentlich noch bieten lassen?«
»Sie ist nicht die Einzige, die das Gerücht mit Clint gehört hat.«
»Von wem hat sie es denn gehört? Sicher von Dana Glazer. Das ist vielleicht ein widerliches Miststück.«
»Die Leute reden eben über solche Dinge. Früher oder später musste es einfach herauskommen.«
»Ach, Herrgott noch mal. Wissen Sie was? Es gibt kein Gesetz, das mir verbietet, einen Freund zu besuchen, also gehen Sie doch zu ihr und sagen ihr, sie soll sich ins Knie ficken.« Sie winkte abfällig, wütend über sich selbst. »Streichen Sie das«, sagte sie. »Warum noch Öl ins Feuer gießen? Clint war mein Trainer. Wir
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