Tödliche Gier
ich nicht.« Ich hätte schwören können, dass sich ihre Wangen dunkler färbten, doch in dem nachlassenden Licht war es schwer zu sagen. Auf jeden Fall zitterte ihre Hand nicht, als sie ihr Weinglas an die Lippen führte. Sie stellte das Glas auf der Terrasse ab und schob sich die aneinander gepressten Hände zwischen die Knie, als wollte sie sie wärmen.
Ich veränderte meine Taktik, da ich sie nicht aus dem Gesprächsfluss bringen wollte. »Wären Sie bereit, noch einmal zurückzudenken und mir zu erzählen, wie die vergangenen neun Wochen für Sie waren?«
Sie atmete hörbar aus. »Es war entsetzlich. Grauenhaft. Momentan bin ich wie betäubt, aber die ersten zwei oder drei Tage war ich nur vom Adrenalin getrieben, und das hat mich komplett ausgelaugt. Das Haus wimmelte von Leuten — meine Freunde, Dows Töchter, seine Freunde und Kollegen. Ich wollte eigentlich niemanden sehen, aber ich konnte nicht ablehnen. Ich hatte nicht genug Energie, um mich zu widersetzen, und so haben sie mich überrollt. Ich konnte mich kaum aufrecht halten. Eigentlich wollte ich nur dasitzen und aufs Telefon starren, zur Tür und wieder zurück marschieren, schreien oder mich betrinken. Tagelang bin ich immer wieder ins Auto gestiegen, zwischen dem Pflegeheim und zu Hause hin und her gependelt und jede denkbare Strecke abgefahren. Immer wieder fand ich mich plötzlich auf der Straße, bis ich gemerkt habe, wie dumm das von mir war. Dow konnte weiß Gott wo sein, und die Aussichten, dass ich ihn irgendwo entdecke, waren astronomisch gering.«
»War an dem Tag, als er verschwunden ist, irgendetwas merkwürdig? Irgendeine Verhaltensweise, irgendetwas, was er gesagt hat, das Ihnen rückblickend abweichend erscheint?«
Crystal schüttelte den Kopf. »Es war ein Freitag wie jeder andere. Er freute sich aufs Wochenende. Am Samstag wollte er bei einem Golfturnier im Country Club mitspielen. Nichts Besonderes, aber ihm machte es Spaß. Am Samstagabend wollten wir mit Freunden essen gehen — mit einem Paar, das kürzlich aus Colorado, wo ihnen mehrere Restaurants gehört haben, hierher gezogen ist.«
»Können Sie mir die Namen sagen?«
»Sicher. Ich gebe Ihnen eine Liste, bevor Sie gehen.«
»Und sonst hat auch niemand etwas Ungewöhnliches bemerkt?«
»Meines Wissens nicht. Sie können ja mit seinen Arbeitgebern und dem Personal des Pflegeheims sprechen. Mit den meisten von ihnen habe ich selbst schon geredet und ihnen dieselbe Frage gestellt. Die Polizei hat ihrerseits Befragungen durchgeführt. Alle haben zu helfen versucht, aber niemand scheint irgendwas zu wissen, und wenn doch, dann hat zumindest keiner etwas gesagt.«
»Hatte er Probleme bei der Arbeit?«
»Es gibt immer Probleme bei der Arbeit. Dow nimmt seinen Job sehr ernst. Er hat mit Patienten und Personal ebenso zu tun wie mit Verwaltungsaufgaben. Außerdem ist er mit sämtlichen Einstellungen und Kündigungen sowie der alljährlichen Gehaltsrevision befasst. Es läuft nie reibungslos. Das liegt in der Natur der Sache. Kürzlich hat er die Bücher eingehend überprüft. Das Steuerjahr im Pflegeheim endet am dreißigsten November, und Dow erledigt gern alles rechtzeitig.«
»Ich nehme an, er widmet dem Pflegeheim einen Großteil seiner Zeit?«
»Das stimmt. Er hat seine private Praxis vor etwa fünf Jahren aufgegeben. Abgesehen von seinem Einsatz für ein paar wohltätige Organisationen, die ihm nach wie vor am Herzen liegen, verbringt er seine Zeit in Pacific Meadows und sorgt dafür, dass der Betrieb dort läuft.«
»Lagen — liegen seine Aufgaben im medizinischen oder im verwalterischen Bereich?«
»Ich würde sagen, sowohl als auch. Er kümmert sich intensiv um die Heimbewohner. Natürlich behandelt er sie nicht, da sie für ihre medizinischen Belange ihre eigenen Hausärzte haben, aber Dow ist jeden Tag da und überwacht alles. Wissen Sie, das ist nicht immer leicht. In der Geriatrie verliert man mit der Zeit die Menschen, die man am liebsten gewonnen hat.«
»Irgendjemand Bestimmtes?«
»Äh, nein. Ich habe niemand Bestimmten gemeint«, antwortete sie, »und ich wollte damit auch nicht sagen, dass er überfordert gewesen wäre. Das war natürlich nicht der Fall. Er arbeitet schon seit Jahren mit alten Menschen. Ich möchte nur sagen, dass es ihm emotional einiges abverlangt hat.«
»Wäre denkbar, dass er sich freiwillig aus dem Staub gemacht hat?«
»Nein.«
»Sind Sie sich da sicher?«
»Absolut. Und wollen Sie wissen, warum? Wegen Griff. Der Junge
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