Tödliche Gier
konnte.«
»Machte er das immer so?«
Charles zwinkerte und schüttelte den Kopf. »Meistens.«
Seine Zeitung war schon fast durchweicht, und ich wusste, dass es höchste Zeit war, sich unter das Vordach zu stellen.
»Gehen wir doch lieber ins Trockene», sagte ich.
Wir kehrten zum Eingang zurück und blieben vor der Tür erneut stehen.
»War da sonst noch etwas?«, wollte ich wissen. »Irgendwas, auch wenn es Ihnen banal erscheint.«
»Er rief mir keinen Gute-Nacht-Gruß zu, wie er es normalerweise tat, wenn er vorbeifuhr. Als Letztes hat er immer gewinkt und mir mit dem Finger gedroht, eine Art Neckerei, weil ich ihm doch gesagt hatte, ich hätte zu rauchen aufgehört.«
»War das Wagenfenster heruntergedreht?«
»Das kann ich nicht sicher sagen.«
»Und Sie haben niemanden bei ihm im Wagen gesehen?«
Charles schüttelte den Kopf.
»Sind Sie sicher?«
»Ziemlich. Und offen gestanden ist das dann so in etwa alles, woran ich mich erinnere.«
»Tja, danke, dass Sie mir Ihre Zeit geopfert haben. Wenn Ihnen noch irgendwas einfällt, würden Sie mich dann anrufen?« Ich zog eine Visitenkarte aus der Tasche und gab sie ihm. »Sie können mich unter dieser Nummer erreichen. Wenn ich nicht da bin, schaltet sich der Anrufbeantworter ein.«
Als ich unter dem Vordach heraustrat und über den Parkplatz ging, drehte ich mich um und winkte. Charles stand immer noch da und starrte mir nach.
Ich blieb eine Weile im Wagen sitzen und dachte über die Tatsache nach, dass ich genau dort parkte, wo Dow Purcell am Abend des 12. September geparkt hatte. Ich musterte die Umgebung, indem ich den Kopf langsam um 180 Grad drehte. Was war ihm zugestoßen? Der Regen klopfte unaufhörlich auf mein Wagendach wie das ruhelose Trommeln von Fingern auf einer Tischplatte. Er war nicht überfallen worden. Er war in sein Auto gestiegen, hatte eine Weile dort gesessen... und was getan? Ich ließ den Wagen an, fuhr rückwärts aus der Parklücke heraus und in Richtung Dave Levine Street, wie Purcell es getan hatte. Ich warf einen Blick zurück zum Haus. Charles war weg. Der Gehweg war leer, und der Regen, der vor dem Licht herunterprasselte, ließ den Eingang düster wirken.
Ich bog rechts ab und musterte die Straße rechts und links von mir. Es war eine Wohngegend. Das St. Terry’s Hospital lag nur vier Blocks entfernt. Es gab Ärztehäuser in der nächsten Umgebung, Mietshäuser und ein paar Einfamilienhäuser, aber nicht viel mehr. Keine Bars oder Restaurants, wo er angehalten haben könnte, um etwas zu trinken. Ab der nächsten Kreuzung war es unmöglich zu erraten, wohin er gefahren sein mochte.
Ich fuhr zum Büro zurück und war um halb sechs bereits dabei, eine Rohfassung der nächsten Folge meines Berichts zu schreiben. Es war mir eine Hilfe, dass ich gezwungen war, alles noch einmal in erzählender Form darzulegen. Ich hatte weitere vier Stunden gearbeitet, die ich vom Rest des Vorschusses abzog, wonach ich noch $ 1125 an Diensten abzuleisten hatte. Ich merkte, wie mir das Unbehagen durch die Knochen zog. Ich wusste nicht mehr als zu Beginn und war dem Aufenthaltsort von Dr. Purcell vermutlich keinen Deut näher gekommen. Ich hatte nicht einmal einen Plan, eine kluge Strategie, anhand der ich weiter vorgehen wollte. Was konnte ich noch tun? Fiona wollte Ergebnisse sehen. Ich war zwar nicht untätig gewesen, kam aber nicht weiter. Ich sah auf die Uhr. Zwei Minuten nach sechs. Ich sprang auf. Schon jetzt war ich zu spät dran für meine Verabredung bei Rosie’s, doch das konnte ich nicht mehr ändern. Ich stopfte den Bericht in die Handtasche, da ich hoffte, später noch daran arbeiten zu können, falls nötig.
Auf den regennassen Straßen herrschte starker Verkehr. Während ich an einer roten Ampel stand, drehte ich den Rückspiegel zu mir her, um mein Aussehen zu überprüfen. Ich trage selten Make-up, daher sah ich aus wie immer: fahl im Schein der Straßenlampen, die Haare ein dichter, brauner Schopf. In Jeans und Rollkragenpullover fühlte ich mich alles andere als glamourös, aber es half ja nichts. Ich hatte keine Zeit, nach Hause zu fahren und etwas anderes anzuziehen. Was auch? Ich habe nichts anderes. Das sind die Sachen, die ich trage.
Ich parkte vor meiner Wohnung und legte die Hälfte des Weges zu Rosie’s im Laufschritt zurück. Dort angelangt, stieß ich die Tür auf, stellte meinen Schirm ab und hängte den Regenmantel auf. Nachdem das Lokal am Freitagabend des Wetters wegen fast leer gewesen war, war es
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