Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
durfte sie nicht eingehen – nicht aus Angst vor dem Gerichtsurteil, das sie ereilen würde, sondern wegen der Auswirkung auf das Leben der Kinder. Doch es tat gut, sich Teds Vergiftung auszumalen, dachte Mrs Clair und blickte noch einmal bedauernd zurück, ehe sie diese heimtückische Versuchung wütend abschüttelte, verärgert über ihre eigene Schwäche.
Es musste auf andere Weise geschehen. Ted hatte sich eine gute Methode einfallen lassen, teuflisch wie er war. Er war absolut sicher vor Verfolgung, abgesehen von der Rache seiner Schwiegermutter. Die Idee, es so aussehen zu lassen, als hätte Dot Selbstmord begangen, war gut. Sie musste sich etwas einfallen lassen, das ebenso gut war, oder besser. Wenn ein dummer Mann wie Ted einen solchen Plan fassen konnte, würde ihr doch sicher ein besserer einfallen. Es musste ihr etwas einfallen.
Mrs Clair presste die Lippen zusammen in der Dunkelheit und versuchte, die Lösung des Problems herbeizuzwingen. Doch so einfach auf Befehl wollte die Inspiration nicht kommen. Sie war sich ihrer persönlichen Nachteile zu stark bewusst, der Schwäche ihrer gesellschaftlichen Stellung, ihres Mangels an Körperkraft. Wohin auch immer ihre Gedanken schweiften, stets sah sie sich schwierigen praktischen Problemen ausgesetzt. Sie brauchte Hilfe, ein Instrument, ein Werkzeug – sie konnte, und sie würde, aus Marjorie eines machen. Aber würde das reichen? Das bezweifelte sie. Irgendwo ließe sich doch sicher noch etwas Wirkungsvolleres finden.
Dann setzte sie auch diesem Gedankenstrom ein Ende, daer viel zu unbestimmt und theoretisch war zu einem Zeitpunkt, zu dem es darauf ankam, entschlossen und praktisch zu sein. Sofort drängte sich die Idee der Vergiftung wieder in ihre Gedanken, die sich in einem unachtsamen Augenblick doch noch durchzusetzen hoffte und dann nur ein weiteres Mal entschieden eingestampft wurde. Oh, sie musste nachdenken, nachdenken, nachdenken.
Die Nacht schritt voran, und sie lag da, ständig wankend zwischen dumpfem Unbehagen und einem seltsamen Hochgefühl. Manchmal schlief sie ein, kurze zehn Minuten lang, nur um wieder aufzuwachen und weiter nachzudenken – eine Nacht, die typisch sein sollte für viele, die noch kamen. Trotzdem fühlte sie sich nicht übertrieben müde, als der Morgen kam. Als die Zeiger der Uhr auf halb acht vorangekrochen waren, schlug sie die Bettdecke zurück und kniete sich zum Morgengebet hin, das ihr ein oder zwei Jahre später als das Abendgebet zur Gewohnheit geworden war.
»Allmächtiger Gott, führe mich auf den rechten Weg an diesem neuen Tag und mache ein braves Mädchen aus mir. Um Christi willen – amen.«
Dann zog sie sich an und ging hinunter, um den Tee und den Schinkenspeck für Mr Elys Frühstück vorzubereiten.
6
Es gab genug alltägliche Arbeiten rund ums Haus, die Marjorie davon abhielten, über die gegenwärtige Situation zu grübeln. Der Fleischer, der Bäcker und der Gemüsehändler beanspruchten fast die ganze Aufmerksamkeit, die sie von den lärmenden Bedürfnissen Derricks und den gleichermaßen dringenden, aber weniger lautstark vorgetragenen Bitten Annes abzweigen konnte. Nur mit größter Mühe fand Marjorie Zeit und Kraft genug, um über ihren Ehemann nachzudenken und sich, mit verzweifelter Nutzlosigkeit, zu fragen, was sie nur tun sollte. Und jede neue häusliche Krise, egal welchen Ausmaßes, konnte schon ausreichen, um ihre Gedanken derart abzulenken, dass die seltsame und schreckliche Sache, über die sie gar nicht nachdenken wollte, ausgeschlossen blieb. Dieser Brief von der Küste, zum Beispiel.
In den vergangenen vier Jahren hatten sie jeden Sommer das Guardhouse gemietet, möbliert, für drei Wochen im Juli und August. Marjorie dachte mit Bedauern an die schönen Urlaube, die sie dort verbracht hatten; das Guardhouse (der Name »Wachhaus« erinnerte an die alten Zeiten, als an der Südküste Soldaten stationiert waren aus Angst vor einem Einmarsch Napoleons) war ein Steinhäuschen eine halbe Meile vom Kiesstrand entfernt, immer noch abgelegen genug, auch wenn Jahr um Jahr die Bungalows näher heranrückten. Sie waren in der Lage gewesen, die viereinhalb Guineas Miete pro Woche aufzubringen, indem alle zusammenlegten, Ted,Mutter und Dot – auch wenn Marjorie stark vermutete, dass Ted gewöhnlich über den Großteil des folgenden Jahres hinweg einen Anteil seines Beitrags seiner Schwiegermutter schuldete, und mit Bestimmtheit wusste, dass es bei Dot so gewesen war.
Schöne Urlaube waren
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